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18.09.2017 21. Woche
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Sternenkinder

Sternenkinder - ein Thema, welches sich im Laufe der letzten Jahre zu einem Thema entwickelt hat.
Nach meinem letzten Bericht schickte mir ein Freund diese Nachricht.
„Wenn ich deinen Block so lese, höre ich nicht die Sprachnachrichten raus, die du mir manchmal schickst.“
Die letzte Sprachnachricht, war ein Schreien, einer meiner Töchter. Dazu schrieb ich, dass das nur Mono sei. Inzwischen haben wir das auch vermehrt Stereo.

Zur Entspannung und zum Abschalten lese ich mich abends gern durch den Blätterwald der Zeitungen. Das mache ich dann auf meinem Handy und lobe mir die Zeit, in der ich lebe. Denn so etwas ist noch nicht so lange möglich. So stoße ich auch auf Artikel, welche mich bewegen und emotional berühren. So wie diese:

http://www.bento.de/gefuehle/sternenkinder-warum-judith-ihr-kind-bekam-obwohl-sie-wusste-dass-es-nicht-lange-leben-wuerde-1684012/

http://www.spiegel.de/gesundheit/schwangerschaft/totgeborene-kinder-fotoreportage-von-matthieu-zellweger-a-1162431.html

Ich weiß, dass ich mich jetzt wiederholen werde, es zu Redundanzen kommt, haha, doch möchte ich diesmal noch etwas weiter zurückgreifen. Außerdem treffen die Wiederholungen nur diejenigen Menschen, die schon meine Schwangerschaftsberichte gelesen haben.

Ich finde schön was Judith geschrieben hat und wie sie gemeinsam durch diese Zeit gegangen sind. Es liest sich rund. Anders kann ich es nicht ausdrücken. Den Beiden wünsche ich lebende Kinder, so viele sie wollen. Sternenkinder ist auch ein schöner Ausdruck. An den ersten Begriff, den ich hörte, kann ich mich noch gut erinnern. Da war von einer Totgeburt die Rede. Ich fand auch schön, dass die Beiden eine Hebamme gefunden haben, die sie durch diese Zeit begleitet hat. Das ist wahrlich ein Glück. Vor ein paar Jahren, so um 2009, war das bei uns noch anders, oder wir hatten einfach weniger Glück. Unsere Frauenärztin brauchte bei ihrer Routineuntersuchung etwas länger und lange genug, um bei all der Freude auf unser zweites Kind, kurz unsicher zu werden. Sie war eine liebe, inzwischen berentete Ärztin, die schwer ihre Sorgen verbergen konnte. Sie meinte, dass sie etwas gesehen hätte, was nichts bedeuten müsse und wir doch, nur zur Abklärung, zur vorgezogenen Feindiagnostik gehen sollten. Wie naiv wir da noch waren.

Bei der Feindiagnostik begriff ich, dass solche Berufe auch eine ganz andere Seite haben und eben nicht nur glückliche werdende Eltern durch die Praxis schweben. Den Arzt den wir erwischten war der Beste den wir bekommen konnten. Für seine Worte, seine Empathie und seine zeitgleiche Professionalität bin ich ihm heute noch dankbar. Das bekommen nur ganz wenige Menschen hin. Er ließ uns Zeit und eröffnete uns die Möglichkeiten die es für uns gab. Wir haben die Praxis wie im Tunnel verlassen. Wir standen mitten im pulsierenden Berlin und für mich war alles so irreal. Ich weiß noch, dass wir zur S-Bahn liefen und irgendwie funktionierten. Unser zweijähriger Sohn wartete zu Hause, dem wir noch nichts von der Schwangerschaft gesagt hatten. Und nun wollten wir es auch dabei belassen. Wir wollten unserem Sohn davon nichts erzählen, ihn schützen, raus halten und uns glaubhaft machen, dass er dadurch nicht belastet wird.

Für unser erstes Mädchen hatten wir schon einen Namen und wussten nun, dass sie uns nie sagen würde, ob er ihr gefällt.

In der Folgezeit informierten wir unsere Familie und Freunde. Ich weiß nicht mehr, ob ich gleich diese Nachricht, oder die nach der Geburt per Mail geschickt habe, weil ich es persönlich, oder telefonisch einfach nicht konnte.

Wir lebten dann zwischen Verdrängung und Auseinandersetzung. Sachlich konnte ich mir den Verlust unseres Kindes herleiten, Hoffnung aussprechen und manchmal glaubte ich auch, dass mit der ausgesprochenen Nachricht das Schwerste schon erledigt war. Später wusste ich es dann besser.

Dann war es soweit. Wir mussten in eines der beiden Krankenhäuser, die uns genannt worden waren. Das es zu einer Geburt bei vollem Bewusstsein kommen würde, war mir anfangs gar nicht klar. Unsere Marie-Fleur war bereits tot, als die Geburt eingeleitet wurde. Und diese Geburt war so anders. Das Krankenhaus hatte uns nicht im Kreissaal mit vielen anderen Zimmern untergebracht, sondern etwas entfernt. Das hatten wir zwischendurch auch mal anders. Als meine Frau zuvor schon einmal Schwanger war und es zu einer Ausschabung kommen musste, hörten wir auf der Aufwachstation, wie im Hintergrund die frisch geborenen Säuglinge schrien. Zum Glück nahm meine Gattin das nicht so wahr. Ich fand das übelst.

Diesmal war es stiller und unsere Hebamme hat viel Zeit für uns. Trotz ihrer jungen Lebensjahre, war sie eine sehr gute Begleitung für uns. Als die Wehen dann unter Mithilfe von Medikamenten immer intensiver wurden, empfand ich das als brutal. All die Kraft, die meine Frau aufbringen musste, all die Schmerzen und ihr Leiden, obwohl wir wussten, dass es kein lebendes Kind würde, empfand ich als so sinnlos. Später sagte mir meine Frau, dass genau diese Schmerzen ihr geholfen haben, mit der Verarbeitung des Verlustes anzufangen. Und ich begriff, dass mir körperliche Schmerzen vielleicht gefehlt haben. Als Marie-Fleur dann zur Welt kam, trat eine tiefe Stille ein und an der Stelle des Schreis eines Neugeborenen zerriss in mir etwas. Man sagt ja, Männer weinen nicht. Doch ich habe für alle, für die das zutrifft den Ausgleich hergestellt. Gleich nach der Geburt und meinem ersten Schub, drang etwas Unbestimmtes an mich heran. Etwas was ich später als die Grenze zum Wahnsinn beschrieben habe. Es fühlte sich friedvoll, nur etwas dunkel und dennoch beruhigend an. An dieser Stelle dachte ich an meinen Sohn, der mich brauchte und so beschloss ich, von der Verführung Abstand zu nehmen. Unsere Hebamme legte Marie-Fleur zu meiner Frau und das war dann für mich surreal. Ich konnte nicht mal hinsehen und das nicht nur der Tränen wegen. Die Hebamme ließ und allein, für den ersten Abschied. Nach einiger Zeit war ich dann auch in der Lage mir meine Tochter anzuschauen. Sie war so komplett. Sie wirkte so vollständig, dass man das Gefühl haben konnte sie schläft nur. Meine Frau forderte mich auf, sie zu berühren, mit dem ich mich anfangs schwer tat. Doch nachdem ich einige Zeit zum Sammeln hatte tat ich es und war überrascht, wie warm und zart sie war. Als die Hebamme zurückkam, hatte ich sie sogar im Arm. Die Hebamme zog Marie-Fleur liebevoll an und sagte uns, dass wir sie in den kommenden 24 Stunden jederzeit sehen könnten.

Marie-Fleurs Geburt, war eine sogenannte Stille Geburt. Sie ist in der 24. Schwangerschaftswoche zur Welt gekommen und wog 580 Gramm. Zum Glück. Zu dieser Zeit war die Gesetzgebung noch anders. Alle Kinder unter 500 Gramm waren sogenannter Klinikmüll und galten als juristisch nicht existent.

http://www.spiegel.de/panorama/sternenkinder-wie-aus-fehlgeburten-menschen-wurden-a-998670.html

Zwischen 500 und 1.000 Gramm hatte man die Wahl, ob das Kind einen Namen, eine Geburts- und Sterbeurkunde und eine Beisetzung haben darf.

Seitdem hat sich viel getan. Mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2013 ist nun vieles besser geworden.

Die bisherige Regelung stand zu dieser Rechtsprechung diametral im Widerspruch.Die Festlegung auf 500 Gramm – das Gewicht wird in der Regel zwischen der 24. und 26. Schwangerschaftswoche erreicht – ging auf eine Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurück und basierte auf der Erfahrung, dass Föten vor diesem Entwicklungsstadium in der Regel noch nicht lebensfähig sind. Durch die enormen Fortschritte in der Medizin stimmt dieser Erfahrungssatz schon länger nicht mehr. Das kleinste überlebende Frühchen hatte ein Gewicht von 284 Gramm. Es war daher höchste Zeit, die veraltete PStV anzupassen.
Dazu stellte Familienministerin Schröder im Vorfeld der Kabinettssitzung treffend fest: "Der Aufwand ist klein, das Ergebnis für viele erschütterte Paare in Deutschland sehr bedeutend. Wir debattieren zu Recht immer wieder über die Frage, wann das menschliche Leben beginnt. Da ist es nur folgerichtig, diesem frühen Leben im Mutterleib auch beim Tod vor der Geburt einen Namen geben zu dürfen."
Ein langer Kampf – viele Eltern, die Kirche, die Bundestagsabgeordneten Klaus-Peter Willsch und Stefanie Vogelsang und auch der Autor haben sich dafür eingesetzt – geht glücklich zu Ende: "Sternenkinder" sind als Person anerkannt und haben einen Rechtsanspruch auf eine würdige Bestattung auf allen deutschen Friedhöfen. Die Neuregelung erleichtert den Betroffenen ihre Trauerarbeit und gibt toten Kindern die ihnen zustehende Würde.
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/totgeburt-fehlgeburt-bestattung-sternenkinder-personenstandrecht-eltern/

Als meine Frau wieder auf dem Zimmer war, bekamen wir Besuch zur Regelung des toten Babys. Wir wurden am Folgetag in ein Zimmer einbestellt, um alle Vorgänge formal abzuarbeiten. Ich konnte nicht klar denken und sollte Unterschriften zu meiner toten Tochter leisten. Aus heutiger Sicht war ich wahrscheinlich gar nicht Rechts- und Geschäftsfähig. Vor dem Termin kam uns eine Krankenschwester besuchen, die uns fragte, ob wir unsere Tochter beerdigen lassen wollten, weil dazu einiges zu tun war und wir eben beim Folgetermin genau aufpassen müssten. So hatten wir Glück und haben erfolgreich dafür einstehen können, dass unsere Tochter eine Beerdigung und ihren Namen bekam. Doch nicht jeder Friedhof macht so etwas und so hatten wir in großen Berlin nicht groß die Wahl. Danach habe ich gehört, dass es sogar ein Krankenhaus in Deutschland gab, die für diese Kinder auf dem eigenen Gelände einen kleinen Friedhof angelegt haben. Das fand ich schön. Die Beerdigung zog sich, da wir uns mitten im Winter befanden.

Judith schrieb so schön, wie die beiden sich als Paar unterstützt und gestützt haben. Ich würde behaupten, dass uns das am Anfang auch gelang. Doch das sage ich. In den folgenden Tagen und Wochen nach der Geburt ging es meiner Frau nicht gut. Sie hatte starke Schmerzen. Der erste Arztbesuch war wenig erhellend. Vielleicht seien einige Reste der Plazenta nicht mit raus gekommen. Die würden aber bald folgen. Eines Nachts wachte ich auf und fand meine Frau stark blutend im Bad. Wir beschlossen, dass meine Mutter für unseren Sohn kommen sollte und wir uns dann auf den Weg ins Krankenhaus mach wollten. Gesagt getan und da Oma einen leichten Schlaf hat, lief alles wie am Schnürchen. Kaum waren wir im Krankenhaus und bald im Untersuchungsraum, war klar, dass die Situation ernster war. Meine Gattin musste zur Stabilisierung bleiben und sollt am Folgetag operiert werden. So fuhr ich heim. Als ich am Folgetag anrief, war sie schon im OP und sollte in der nächsten halben Stunde wieder draußen sein. Nach zwei weiteren Anrufen und anderthalb Stunden weiterer OP, konnte ich endlich meinen Sohn meiner Mutter übergeben und ins Krankenhaus fahren. Das Krankenhauskissen meiner Frau hatte mehr Farbe als ihr Gesicht. Schlussendlich war eine Not-OP notwendig geworden, mit erheblichem Blutverlust. Der Oberarzt tobte noch am Bett, weshalb sie nicht gleich in der Nacht operiert worden war und wollte die Ärztin sprechen, während wir nun hofften, dass für uns endlich etwas Ruhe einkehren würde.

Am selben Abend wollte mein Sohn bei mir im Bett übernachten und ich beschloss, dass meine Frau wieder gesund werden müsse, da ich nicht alleinerziehender Vater sein wollte. Der aufkeimende Gedanke machte mir Angst und ich versuchte ihn so gut es ging zu verdrängen. Die folgenden Tage und Wochen waren der körperlichen Genesung gewidmet. Doch eines wurde noch deutlich. Meine Frau musste sich noch mindestens einer weiteren OP unterziehen. Ich hatte so was von genug, dass kann sich kaum einer vorstellen. Mit der aufkommenden Ruhe, kamen nun auch die Geister der Trauer. Nach dem Tod unserer Tochter wusste ich und wollte ich funktionieren. Mein Sohn brauchte uns. Deshalb drückte ich viel weg. Meine Frau ging mit ihrer Trauer anders um und auch für sie wollte ich ein Halt sein. Doch diese Funktionalität bekam ihre Risse.

Auf einer Kita-Feier berichtete die Erzieherin unseres Sohnes, dass er erzählte, dass Mama nun kein Kind bekommen würde. Wir waren verblüfft. Hatten wir doch alles getan, um den Verlust der Schwester von ihm fern zu halten. Seine Erzieherin sagte daraufhin zu uns, dass Kinder so viel mehr mitbekommen würden, als wir Erwachsenen so denken.

Einen Riss meiner Funktionalität merkte ich, als mir meine Mutter sagte, dass sie mal mit jemanden über den Verlust als Oma reden müsse. Da merkte ich, dass ich sie ganz schnell hinaus bitten musste. Und schon fiel die Tür ins Schloss. Was sich brutal liest, gegenüber der eigenen Mutter, war einzig, dass ich nicht in der Lage war noch jemanden anderen Halt zu geben.

Als Ehepaar haben wir uns anfangs an gemeinsamer Trauerbewältigung versucht. Wir haben geredet, gemeinsame Abende verbracht und nicht nur geweint sondern sogar mal gelacht. Dieser Silberstreif am Horizont war jedoch vergänglich. Als dann der Alltag einzog, fingen wir wohl an, an Gemeinsamkeiten zu verlieren. Um uns herum wurde es derweil ruhiger. Familie und Freunde meldeten sich wenig.

Bis auf ein Pärchen. Die beiden riefen an, machten einfach einen Termin mit uns und brachten ihren inzwischen legendären Chili-Topf mit. Es fiel kein Wort über Tod und Trauer. Der Abend brachte uns ein Stück Normalität und auch Freude. Wir schwatzten, lachten und erzählten. Es war wie ein kleines Stück Befreiung. Dafür behalten sie einen besonderen Platz bei uns im Herzen.

Die folgenden Monate wurden für uns als Paar schwieriger und zu einer Gradwanderung über den Fortbestand unserer Ehe. AM Anfang merkten wir, oder zumindest ich das gar nicht. Für mich war das ein schleichender Prozess, der dann in einer abendlichen Frage gipfelte, warum noch zusammen weiter. Offensichtlich hatten wir genug Bindungskräfte, dass wir am Ende das Tal doch gemeinsam verlassen haben. Doch Schluss war damit noch nicht. Und selbst als wir die Sohle durchschritten hatten und es wieder aufwärts zu gehen schien, ignorierten wir die Gesetze der Berge. Denn wenn es hoch geht, geht es auch wieder runter. Im ersten Tal merkten wir, dass wir auf der Stelle traten und auch zu wenig Anregung von außen hatten, die uns half. So starteten wir den Versuch einer Paartherapie. Für diese Zwecke durfte die Oma auf unseren Sohn aufpassen. Nach einer Weile bekamen wir mit, dass uns die gemeinsame Zeit vor und nach der Therapie besser tat, als selbige an sich. So starteten wir den Versuch, uns die gleiche Zeit ohne Verpflichtungen zu gönnen und das lief richtig gut. So änderten wir unser Vorgehen, bis unsere Sohnsitterin uns die Gefolgschaft kündigte. Wir hätten trotzdem weiter machen sollen, haben wir nur leider nicht.

Wir wollten sehr gern noch ein zweites Kind. Nun waren die Prognosen schon vor dem Ersten nicht die Besten und nach den OPs waren sie eher noch schlechter. So lernten wir eine Kinderwunschklinik von innen kennen, mit all den Hoffnungen und Enttäuschungen. Wir verließen selbige mit dem letzten Gefühl. Alles schien auf eine Ein-Kind-Ehe hinauszulaufen. Das war nochmal schwierig. Wie nimmt man von einem Kinderwunsch Abschied? Geht das überhaupt? Was macht das mit einer Frau? Und was mir dem Mann? Welche Fragen stehen für das Paar als Paar im Raum. Die Facetten sind so vielseitig. Alte Fragen, die wir schon in der Kinderwunschklinik gehört hatten, z.B. nach Adoption, oder Pflegekindern, kommen wieder auf den Tisch. Doch die tiefgreifenden Fragen zu beantworten fällt viel schwerer.

Doch wir hatten Glück. Viel Glück. Dessen bin ich mir bewusst und dankbar dafür. Wir hatten noch nicht einmal angefangen und die Fragen der Spitze des Eisberges zu beantworten als sich überraschend Nachwuchs anmeldete.

Diese Schwangerschaft war von vielen Ängsten und Befürchtungen besetzt. Wir lauschten auf jedes Zeichen und manchmal hörte ich die Flöhe husten. Man sagt, jede Schwangerschaft ist anders und das stimmt. Doch nach diesem Erlebnis hätte ich mir eine gewünscht, die exakt so verläuft, wie bei unserem Sohn. Ich denke, dass hätte mich vielleicht etwas beruhigt.

Wie wenig ich mich mit dem Tod meiner ersten Tochter auseinandergesetzt hatte und nur funktioniert habe, merkte ich so richtig nach der Geburt unserer Tochter. Nicht, dass es vorher nicht schon Anzeichen gab. Immerhin habe ich aufgehört, meine Hand auf den Bauch meiner Frau zu legen, weil wenn ich nichts fühlte gleich Horrorgedanken hatte. Selbstredend waren wir auch einmal öfter im Krankenhaus, um unsere aufkommenden Sorgen eine Ruhepause zu gönnen. Zur Geburt lief dann alles glatt. Es war eine schöne Spontangeburt mitten in der Nacht. Unsere Tochter hätte mit Freunden von uns Geburtstag haben können, die ihr extra zwei Tage hintereinander eingeräumt haben. Doch sie wollte ihren eigenen und so können wir jetzt wenigstens theoretisch an drei aufeinanderfolgenden Tagen, drei Geburtstage feiern.

Ich habe lange gebraucht, um eine Bindung zu meiner ersten lebenden Tochter aufzubauen und hatte viele Ängste, gerade als sie frisch geboren war. Meine Ausrede war lange, dass sich ja auch jemand um den Großen kümmern muss. Ich habe sie kaum, wenn möglich gar nicht gehalten. Zu groß war meine Befürchtung, dass ihr etwas bei mir passieren könnte. Sicherlich ist das völlig irrational. Doch ich hätte ihr am liebsten alle Gefahren beseitigt, selbst, wenn gar keine drohten.

Bei ihr habe ich auch die geringste Elternzeit genommen, weil der Job ja so wichtig ist. Ich habe bestimmt ein Jahr gebraucht, um mehr als eine Versorgerrolle zuzulassen. Vielleicht liest sich das hart, aber die Jahre nach Marie-Fleur waren für mich sehr dunkle, oder auch verlorene Jahre. Sicherlich hatten wir als Familie auch in den Jahren schöne Zeiten. Und sicherlich haben wir auch gelacht und Spaß gehabt. Doch lag bei mir über allem auch ein Schatten. Meine Leichtigkeit und mein Optimismus waren flöten gegangen. Ich ging eher pragmatisch zu Werke. Meine Strebsamkeit hatte nachgelassen und wenn ich letzte Woche so auf meinem Gewicht rumgeritten bin, dann hatte diese Zeit auch da deutliche Spuren hinterlassen. Das waren nur die sichtbaren.

Vor gut vier Jahren bin ich mit einem guten Bekannten über die Alpen gefahren. Früher bin ich gern und auch viel Rennrad gefahren. Doch auch dies hatte nachgelassen und das ich die Route des Grandes Alpes geschafft habe, lag nicht an meiner Fitness. Die war grottig. Es lag an meinem puren Willen, dass ich in Nizza ankam. Geplant war die Tour auch zu dritt. Einer fährt den Begleitwagen und die anderen mit dem Rad. Jeden Tag wollten wir wechseln. Da der eine beruflich nach London wechselte, fiel der Begleitwagen aus und wir hatten 10 Tage von Genf nach Nizza, mit unzähligen Pässen zwischendrin. (16 Alpenpässe, 6 davon mit über 2.000 Höhenmeter, darunter den Col de l’Iseran, den mit 2764 m höchsten Straßenpass der Alpen. Die Route überwindet auf ca. 700 km Länge einen Höhenunterschied von insgesamt 15.700 m.) Da der Begleitwagen wegfiel, mussten wir nun auch unser Gepäck auf den Rennrädern unterbringen. Ich denke manchmal, dass ich mir bei dieser Tour ein Stück weit den körperlichen Schmerz geholt habe. Außerdem hatte ich genug Zeit, mich mit mir, dem Vergangenen und der Zukunft zu beschäftigen. Denn als die Anstrengung langsam Oberhand gewann und mein Kopf freier wurde, war auch wieder Platz für andere Gedanken. Lustigerweise gibt es eine Parallele. Im Jahr bevor mein Sohn geboren wurde, war ich auch zu einer Rennradtour in Frankreich und im Folgejahr dieser Tour, wurde meine Tochter geboren. Unsere Zwillinge sind da zwar eine Ausnahme, doch ob ich nochmal eine Tour wage, mit nun vier Kindern, sollte gut überlegt sein. ;-)

Als wir über ein drittes mögliches Kind sprachen, kamen natürlich auch alte Ängste auf. Wir spielten den Gedanken durch, wenn wir nun wieder ein Sternenkind bekommen würden. Was würde das aus uns machen? Mit uns. Schlussendlich haben wir gelernt, dass gesunde lebende Kinder nicht für jeden planbar sind und manchmal noch nicht einmal Schwangerschaften. Da die Prognose wieder mal schlecht für weiteren Nachwuchs war, Verhütungen könnten wir uns sparen, so die Aussage der Ärzte, war die Diskussion auch etwas theoretisch. Wir hatten sie noch nicht einmal abgeschlossen, da waren wir praktisch werdende Eltern.

Nun haben wir sogar Zwillinge bekommen und vier Kinder. Als meine Frau und ich mal darüber sprachen, was gewesen wäre, wenn Marie-Fleur unser zweites lebendes Kind geworden wäre, stellten wir fest, dass wir unsere Familienplanung damit höchstwahrscheinlich beschlossen hätten.

Dieser Ausgang ist fast wie ein Happy End. Fast.

Die Traurigkeit beim Gedanken an Marie-Fleur wird nicht vergehen. Und der Umgang mit drohendem oder tatsächlichen Tod und/oder Verlust ist schwierig und meinem Empfinden nach in unserer Kultur eher etwas mit dem man nichts zu tun haben will. Wenn ich noch an meine Großelterngeneration denke, da war von einem Trauerjahr die Rede. Wir mussten uns schon manchmal regelrecht rechtfertigen, weil wir um ein Kind getrauert haben, welches ja noch nicht mal wirklich gelebt hat. Das Umfeld kann schon speziell sein. Auch der Hinweis, dass wir schließlich ein Kind hätten, war nicht hilfreich, wenn auch sachlich richtig. Doch der Umgang mit Menschen, die mit dem Thema berührt werden und das Finden der richtigen Worte beim Trauerfall ist auch immens schwer. Doch mal ganz offen. Wir können uns dem Thema nicht entziehen und früher oder später wird jeder damit konfrontiert. Deshalb ist es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn wir uns damit vorher schon mal auseinander setzen.

Als unsere Tochter beigesetzt wurde, zwischen all den anderen kleinen Kindern, da entstand in mir das Bild, dass all die Kleinen zusammen, wie in einem riesigen Kindergarten spielen und sich aneinander haben. Es wäre schön.

Und nun zur Entwicklung unserer beiden Zwillinge, in ihrer 21. Lebenswoche! Hier ist schließlich Leben in der Bude.

So, wie ich letzte Woche schrieb, ging es weiter. Wir hatten stellenweise kaum drei Stunden Schlaf am Stück und manchmal nicht mehr als fünfeinhalb überhaupt. Doch offensichtlich vollbringen wir genau in solchen Momenten Höchstleistungen. Aufgaben hatten wir genug vor uns und immer wenn wir am frühen Abend voreinander gestanden, dass wir aber heute Abend so richtig fertig seien, haben wir trotzdem noch wichtige und notwendige Sachen erledigen können. Allerdings brauchte ich dann doch eine Auszeit mehr als meine Frau. Das muss wohl an meinem fortgeschrittenen Alter liegen. So habe ich an einem Abend geschwächelt und ging zeitig zu Bett, ohne meine Aufgaben erledigt zu haben. Und nun habe ich einen Bericht geschrieben, der viel länger und thematisch weiter wurde, als gewollt.

Das Fazit der Woche heißt: „Schluss mit gutschi, gutschi, ach, wie sind die niedlich.“ Jetzt ist eher „Boh, ey.“ Wenn das ein Entwicklungsschub ist, wäre mir weniger Entwicklung lieber. Die Beiden drehen sich jetzt und Polly zieht ihre Fersen an den Po und schiebt sich mit einem aufbäumenden Hintern blindlings und rücklinks vorwärts. So fangen wir jetzt an, immer mehr zu polstern. Offensichtlich nehmen sich die Beiden ihre ganzen neuen Künste so zu Herzen, dass sie diese nachts weitschweifig und lautstark verarbeiten müssen. Tagsüber machen sie das lieber unabhängig voneinander. Will heißen, schläft die Eine, heult die andere und umgekehrt. Nur um ein Beispiel zu nennen. Also nehmen wir mal einfach einen Tag aus dieser Woche als Beispieltag. Also als Durchschnittstag. Der Wecker klingelt nun wieder in aller Frühe. Nachdem wir uns alle reichlich frisches Nass bei absinkenden Temperaturen ins Gesicht geschüttet haben und die Morgenwäsche uns wacher machen soll, schwanken wir trotzdem noch ausreichend schläfrig in unsere Sachen. Danach bearbeite ich die Schulbrote, damit der Junge nicht verhungert. Sobald wir in der Schule alles abgeliefert haben, geht es zur Umgewöhnung in die Kita, die ich als fürsorglicher Vati begleiten darf. Ich habe großen Respekt vor Kindergärtnerinnen. Ich könnte das nicht. Sobald ich mit meiner Tochter den Hort der zwanzig tobenden Kinder verlassen habe und nach Hause komme, wirbelt meine Frau zur Arbeit und ich um meine drei Töchter herum. Meist trage ich abwechselt die Kleinsten durch die Gegend, nur um abends meinen Tragearm als Tennisarm anpreisen zu können. Doch bin ich nicht der Einzige mit einem harten Tag. Ab Mitte der Woche, durfte ich dann auch noch mehr Zeit in der Kita verbringen, was dazu führte, dass selbige die Zwillinge von innen kennen lernten. Das bekam Polly nicht so gut und mir auch nicht. Wir sind zwei Sensibelchen. Was hatte ich für Kopfschmerzen abends. Nachdem meine Frau ihre Arbeit hinter sich hatte, Polly beruhigte und zur Nacht gebettet hatte, massierte sie mir nun auch noch die Schmerzen hinweg. Was kann ich das gut haben.

Am Folgetag übernahm ich eine sehr weinerliche Polly und ich fragte mich, als alle Anregung nicht half, ob Positionswechsel auf dem Arm Abhilfe schaffen. Als sie mir dann über die Schulter schaute, kam ein Bäuerchen, welches in jeder Hafenkneipe zustimmendes Nicken eingebracht hätte. Während ich ungläubig der Geräuschkulisse die gegenüberliegende Wand anstarrte, wiederholte sie ihr ohrenbetäubendes Schauspiel aus dem tiefen Inneren ihres zarten Körpers. Ich war beeindruckt. Doch weniger weinerlich wurde sie dadurch nicht. Während ich sie nach ihren Bäuerchenfestspielen wiegte, beruhigte sie sich immer mehr und schlief alsbald ein. Nun, an ein Ablegen war nicht zu denken. So tief war ihr Schlaf dann wieder nicht. So wiegte ich sie bis Mama ihren Kopf zur Tür reinsteckte.

Zum Ende der Woche hatten wir dann noch die Geburtstagsfeier mit unserem Großen auf dem Plan. Erst mit seinen Freunden und am Folgetag gleich noch die Familie. Mit seinen Freunden fehlte es mir diesmal an Lockerheit. Nach dem Lärmpegel in der Kita, vertrug ich nun weniger, was unseren Sohn trotzdem zu der Bemerkung veranlasste, dass das ein sehr schöner, wenn nicht gar der schönste Geburtstag gewesen sei. Die Feier in Familie war schön und entspannend. Als dann spontan und zufällig Freunde auftauchten, nahm die ganze Runde nochmal Fahrt auf. Es war einfach schön.

Da es eine sehr aufregende Woche mit vielen neuen Menschen für unsere Kleinsten war und sie viel zu verarbeiten hatten, war es dann kaum verwunderlich, dass sie den letzten Tag mit all seiner Ruhe ungläubig begleiteten. Während Lysanne das alles mit großen Augen tut, hat sich Polly wohl ein Mitbringsel von irgendwoher geschnappt. Sie schnieft anständig und ihre Nase läuft. Sollte das der erste Bazillus des Jahres werden, der die Familie durchläuft? Wir werden wohl schauen, inwieweit Polly ihn weiter geben möchte.

Eine schöne Woche und viel Spaß,
wünscht Daniel.


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Kommentare von Lesern:

 
Sabrina:
25.09.2017 20:44
Lieber Daniel,

ich habe deinen Bericht letzte Woche gelesen und musste erstmal schlucken....Du beschreibst, wie es vielen Sterneneltern,auch uns,geht.Bei uns war es "nur" die 13. SSW
...und trotzdem war es für uns schon da....

euch weiterhin alles Gute!
Gast:
20.09.2017 10:33
Uff. Danke, Daniel!
Anja, Leipzig :
20.09.2017 10:00
Hallo Daniel, danke für diesen tollen und ehrlichen Bericht. Mir sind mehrfach die Tränen gelaufen...
Ihr macht das super, weiter so! VG
Steffi, Köln:
20.09.2017 09:19
Das Thema Sternenkinder hat mich letzter Zeit durch die Artikel und einen ausführlichen Bericht im Spiegel Heft auch beschäftigt. Danke, dass Du es auch nochmal aufgegriffen hast durch Deine Erlebnisse. Ich denke es hilft vielleicht dem einen oder anderen zu wissen, dass man auch an diese Kinder denkt.
Gast:
19.09.2017 21:50
Wow.... was für ein toller emotionaler Bericht, Daniel!

Tagebuch Daniel

Daniel
Alter: 45
Wohnort: Berlin
Beruf: Betriebswirt
Familienstand: verheiratet, 4 Kinder
Geburtstag Kind: 22.04.2017
Letzter Eintrag: 19.04.2018

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