27.05.2013
36. Woche
Singen, Tanzen, Fröhlichsein
Von hohen Zielen und den Schwierigkeiten ihrer Umsetzung
Ich war vor kurzem mal wieder lehrerhaft den Kindern gegenüber und habe der ersten Tochter ausführlich erklärt, welchen Unterschied es zwischen dem Selben und dem Gleichen gibt. In der vergangenen Woche nun hat sie voll Freude sich genau darinnen geübt und wandte es richtig und mit Begeisterung an - etwas zum Leidwesen der übrigen Mitbewohner.
Dass ich so lehrerhaft bin, kann ich manchmal meinen Kindern gegenüber nicht abstellen und dann erwische ich mich, wie ich merke, dass meine erste Tochter tatsächlich immer noch in mir ein Projekt ist, dass es zu formen gilt. Wenn ich mich dabei erwische - gut. Dann kann ich gegensteuern. Aber wenn ich es erst merke, nachdem ich mich frage, warum gerade eben etwas schwierig war und wir wieder aneinander geraten sind, dann ist es schon zu spät und es kam eben zum Krach oder zu meiner "Nein"-Einstellung dem Kind gegenüber, die ich so überhaupt nicht vertreten will und kann. Aber es ist so interessant, wie heimlich sich genau solche Haltungen und Ansichten, die wir nicht haben wollen, dann doch wieder manifestieren. Dabei kann doch in Erziehungsratgebern alles fein nachgelesen werden.
Konkret war ich unheimlich müde und wollte die Kinder ins Bett bringen. Sie wollten auf dem Spitzboden schlafen (alle drei) und hatten auch noch konkrete Vorstellungen des Einschlafrituals. Ich war für alles bereit und wurde aber von den Kindern immer wieder lustig treppauf und treppab geschickt: das Buch fehlt, die Trinkflasche ist alle, der Nachttopf aber noch voll, die Kuscheltiere fehlen und die kleine Schwester soll doch unten schlafen. Das wollte diese aber nicht und so war die Stimmung unter dem Dach etwas angespannt.
Als ich nun zum sonst wie vielten Male die Treppe hochkomme, weint die zweite Tochter sehr und die erste gesteht, dass sie ihre kleine Schwester mit der Faust gehauen habe - und da platzte mir der Kragen. Ich war so wütend. Und statt mich liebevoll um die Kinder zu kümmern, schimpfte ich mal so richtig los, wie ich es sonst nur aus Filmen oder meiner eigenen Kindheit kenne. Momente, in denen ich meinen Eltern nie nahe stand. Und ich konnte mir auch noch dabei zusehen, wie das kleine Häufchen Elend vor mir von mir übermächtig zusammengeschimpft wurde und immer mehr in sich zusammensackte und dann anfing zu weinen und ganz ganz traurig war.
Die kleine Schwester wollte dann mich auch noch trösten und dann ihre Schwester vor mir beschützen - ich war so aufgebracht, dass ich mich im Nachhinein dafür umso mehr schäme. Gleichzeitig ist es eine sehr wichtige Erfahrung für mich, die mich lehrt, ruhig zu bleiben. Ich brauche mir nur den Anblick meines geliebten Kindes zu vergegenwärtigen und schon ist es für mich ein Mahnzeichen, dass ich mit diesem zarten kleinen Wesen bitte noch achtsamer umzugehen habe.
Danach wollten die Kinder nicht mehr auf dem Spitzboden schlafen und so zogen sie ins Familienbett zur Frau und ich lag in der Isolation auf dem Boden. Das war herrlich. Ich fühlte mich in meine Kindheit versetzt, als wir bei meiner Patentante an der Ostsee auf dem Boden schlafen durften. Dort gab es allerdings ein Reetdach und hier nur Sparren. Doch ist es einfach so gemütlich direkt unter dem Dach zu liegen - ein größeres Geborgenheitsgefühl - ein Dach über dem Kopf zu haben - kann es wohl kaum geben. Der Wind rüttelt an den Fenstern, die Balken knarzen und die Geräusche der Nacht sind viel näher und doch weit weit weg. Einfach unheimlich schön.
Am Freitag wurde das Besuchskind wieder zu seinen Eltern gefahren. Es gab ein großes Hin und Her und eigentlich wollten nun doch die Kinder noch länger zusammen bleiben. Aber da alle drei sich erkältet hatten, die wahren Eisheiligen ihre Macht demonstrierten und es teilweise einen Drinnenkoller gab, fanden wir die Zeit nun doch für gekommen, Abschied zu nehmen. Abendbrot gab es noch im Garten am Feuer mit schmelzenden Käsewürfeln und Brot am Stock.
Danach wurden die müden Kinder ins Auto verfrachtet und los ging die 200km-Reise in die Dämmerung hinein. Alle Kinder schliefen - nur die erste Tochter konnte keinen Schlaf finden. Sie saß in der Mitte und war völlig übermüdet und konnte nicht schlafen. Daher wurde ihr schlecht. So gab es beim Autofahren viel Freude und ich habe eine innere Notiz, dass ich Spucktüten brauche (es gab keine bei der Tanke).
Zwischen neun und zehn kamen wir bei der Mama des Besuchskindes an und sie ist so eine liebe Freundin. Sie hatte in der Stadt für uns extra eingekauft und beschenkte uns noch mit leckeren Lebensmitteln. Dann gab es noch eine schöne Fotorunde von übermüdeten Kindern auf dem Sofa, bevor wir in die Nacht starteten. Rückzu schliefen nun beide Kinder ein und wurden von mir schlafend ins Bett getragen, als wir zu Hause ankamen.
Dass es Landregen gibt, der mehr als einen Tag anhalten kann, hatte ich fast ganz vergessen. In Jena gab es sieben Wetterscheiden und so immer nur kurze mal mehr oder mal weniger starke Regengüsse und in Dresden durch die Tallage wechselte das Wetter ebenso schnell. Doch hier hatten wir nun unsere ersten drei richtigen Regentage. Nicht das Nass war das anstrengende, sondern die Kälte. Deswegen nun auch die Rotznasen bei den Kindern. Ich triumphierte schon gegenüber dem Rest der Familie, abwehrstark alles ohne Probleme zu überstehen, doch dem war oder ist nicht ganz so: heute wachte ich mit Halsschmerzen auf. Mist. Aber die werden bald wieder gehen. Sie zeigen mir, dass ich auch mit der Gesundheit haushalten sollte.
Dazu gehört es auch, dass in der Familie alles gut läuft und ich rede einfach zu wenig mit der Frau. Wenn ich nach Hause komme bereite ich oft doch noch Stunden für den nächsten Tag vor und die Kinder fordern ihr Recht auch ein und so sehe ich meine Liebe zwar noch, aber dass wir uns mal abstimmen und zusammen planen, fällt oft unter den Tisch.
Wie wichtig jedoch ein Rückzugsort für mich und meine Familie ist, zeigt sich leider doch mehr im Zusammenleben mit den Großeltern, als gedacht. Gerade in der trüben Zeit liegen doch auch die Nerven oft blank. Und so sind aufgedrehte Kinder in der Wohnung manchmal richtig schwierig. Wir haben noch keine eigene beheizbare Wohnung und im Moment ist es einfach in den von uns genutzten Räumen zu kalt. So sind wir in den beheizten Räumen der Großeltern, was alle fordert. Die Kinder singen und tanzen und spielen und malen und schneiden viele Papierschnipsel und die Eltern räumen hinter her und die Großeltern üben sich im geduldigen Ertragen. Wenn dann aber mal doch etwas nicht so läuft, wie gedacht, dann geraden die Gemüter an einander. Kindererziehung ist eben doch eine Generationenfrage, oder?
Ich denke, dass es egal ist, wann man geboren wurde, man kann immer auf sein Herz hören und eine Sprache der Liebe zueinander finden. Das hat aber mit Fühlen zu tun und dieses wurde leider oft zu Gunsten des Kopfes unterdrückt oder abgestellt. Und auch ich kann den Impuls des Habens statt des Seins nachvollziehen. Doch gab es immer schon kluge Menschen, die das Fühlen und das liebevolle Miteinander hoch ansiedelten und wertschätzten. Sich auf ein Generationending zu berufen kann da also eigentlich keine Lösung sein. Eher denke ich, dass ein Umgang auf Augenhöhe miteinander ein schöner Ansatz sein kann. So verstehe ich meine Rolle als Lehrer in der Schule auch. Das ist aber oft ungewohnt - für alle Beteiligten. Es ist ein Prozess des gemeinsamen Wachsens und Lernens.
Auch ich kann viel lernen. Zum Beispiel von der zweiten Tochter, die eine durch und durch positive Grundhaltung hat. Sind die Konflikte in ihrer Umgebung geklärt, dann singt und tanzt sie den ganzen Tag. Gestern zum Beispiel fand sie ein Notenblatt und sah auch gleich, dass das das Sommerlied aus dem Kindergarten sei. So wurden wir alle mit dem Kindergartensommerlied beschenkt, welches das Kind sehr ausdauernd hier im Wohnzimmer bei den Großeltern zum Besten gab.
Ich neige dazu davon auszugehen, dass alle Eltern immer nur das Beste für ihre Kinder wollen und deshalb nach eigenem besten Wissen und Gewissen in ihren Möglichkeiten handeln. Alle Eltern geben immer ihr Bestes. Daran sollten wir öfter mal denken. Wir sind alle gute Eltern für unsere Kinder. Und unsere Eltern sind eben auch die bestmöglichen, die wir haben konnten.
Euer Herr Gaigals
PS: es gibt Nachwuchs - sieben kleine Kaninchen und die Schwalben brüten auch schon im Vorderflur.
Bisher wurden noch keine Kommentare abgegeben.