väterzeit.de - Vater sein, Mann bleiben

10.06.2013 38. Woche
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Wohl gesittet...

Von Nachbarskindern, Sportfesten und der Länge eines kindlichen "Nie wieder!"
Sitzt doch das Nachbarskind mit bei uns am Tisch und fragt die erste Tochter:
"Du, darf ich dich mal was fragen?"
"Ja. Was denn?"
"Sag mal, warum schmatzt du so?"
Pause
"Weil das bei uns nicht so wichtig ist."
Pause
Erste Tochter in Richtung Nachbarskind:
"Du, darf ich dich mal was fragen?"
"Ja. Was denn?"
"Warum dürft ihr beim Essen nicht schatzen?"
"Weil es sonst Ärger gibt."
"Wieso gibt es denn dann Ärger?"
Darauf wusste das Nachbarkind zwar Antworten, die befriedigten die erste Tochter aber nicht, weil sie eben eine Regel wiedergaben, aber keine Gründe dafür. Am Ende wusste das Nachbarkind sich nur noch mit
"Das sind hier Manieren."
zu retten.

Die Tage fliegen dahin und ich bin erstaunt, wie schnell doch die Zeit so vergeht. Dabei ist sie mit wundervollen Augenblicken gefüllt, die einer an den anderen gereiht, das Leben einfach schön machen und so wertvoll.

Viele kleine Vogelkücken sind schon flügge und aus den Nestern geflogen und betteln die Eltern im Gesträuch um Futter an. Auch unsere Kaninchen sind jetzt in einem süßen Alter und werden von den Kindern intensiv geschmust. Sie müssen mit auf der Decke auf der Wiese sitzen. Aus dieser steigen massig Gartenlaubkäfer auf, die von den Buchfinken und Spatzen zum Teil im Flug geschnappt werden. Überall regt sich Leben und es pfeift, singt und zwitschert, wohin man schaut.

Auch die zweite Tochter singt weiterhin ihre Lieder. Allerdings keine mehr aus dem Kindergarten. Seit wir hier überbrückend kein Kindergartenkind mehr haben und die Frau nun auch ihren Umzug schlussendlich vollzog und wir alle richtig hier sind, wurde auch der Kindergarten der zweiten Tochter seltener. Dafür lebt sie nun in dieser Welt und dann gibt es noch die ihre. Ihre Welt und unsere schneiden sich im Hier und Jetzt, doch sind die Vergangenheiten völlig verschieden. Was sie da nicht schon alles erlebt hat und was es nicht doch alles neues zu entdecken gibt, was es in ihrer Welt bisher nicht gegeben hat - es ist unheimlich faszinierend und erstaunlich. Oft erlebte sie mit ihrer Cousine Sachen, von denen gerade die erste Tochter berichtet, aber oft sind es auch Geschichten, die uns wundern, woher sie kommen.

Der vergangene Sonnabend war ein sehr angefüllter Tag. Wir bauen ein Baumhaus in den Garten und haben dafür Fichten aus dem Garten von Freunden schlagen dürfen. Also gab es in den vergangenen Tagen Arbeitseinsätze für das Besorgen des Baumaterials, was nun noch aufbereitet werden will. Wir schälen zum Beispiel jetzt erstmal die Bäume. Auf dem Autohänger von Freunden, mit denen wir die Stämme transportierten war ein Aufkleber dran, nach dessen Motto wir uns leider nicht richten konnten: "Baum ab? Nein danke!" Doch, leider doch.

Dann am späten Nachmittag folgte ich einer Einladung der "Bündnis90/Die Grünen" zu deren Altmark-Treffen. Dort lernte ich tolle Menschen kümmern, denen der Bahnhaltepunkt in der Nähe doch wichtig ist und die sch für deren Erhalt mit einsetzen. Ich war begeistert, denn Partei-Politik an der Basis ist immer etwas Spannendes und wenn dann die Parteimitglieder einen Fremden freundlich aufnehmen und willkommen heißen, dann ist das richtig toll. Sowas kannte ich bisher nur von den Piraten. Selbst die Linken habe ich nicht so entgegenkommend und für Themen offen erlebt.

Nach der Heimfahrt mit dem Öffentlichen Personen Nahverkehr konnte ich dann mit der ersten Tochter noch zum Sportfest des örtlichen Sportvereins. Ich habe nicht um das Sportabzeichen mit gewetteifert, aber am Feuer sitzen, Stockbrot backen und klönen ist einfach wunderbar, derweil die Kinder beschäftigt sind und mit der Horde der Gleichaltrigen die Gegend unsicher machen. Abschließend gab es einen Fackelumzug um das Dorf mit Gruseleinlagen. Die erste Tochter wollte nicht mit den anderen Kindern auf dem Sportplatz zelten und so nahm ich ein sehr erschöpftes und unheimlich müdes Kindlein mit nach Hause, was dann auch gleich direkt einschlief, als es sich ins Bett fallen lies (die letzten Meter trug ich sie noch zum Bett).

Neuerdings wurde mein Vater von einem etwas seltsamen Mann aus dem Dorf als neuer Freund auserkoren. Der Mann hat einen Hund und ist meines Erachtens psychisch etwas auffällig. Er läuft immer laut schimpfend mit einem Handy in der einen und der Bierflasche in der anderen Hand in der Gegend herum und brüllt auch noch den Hund an, weil dieser nicht hören mag. Außer seiner Mama hat dieser Mann hier im Dorf keinen. Morgens um fünf Uhr geht er auf den Friedhof, die Blumen gießen und schimpft auch dort laut vor sich hin, so dass wir die Fenster schließen müssen - wie in der Stadt. Bedauerlicher Weise fehlt diesem Menschen auch das Feingefühl, wann er stört und wann er willkommen ist oder eben gerade nicht. Das macht den Umgang mit ihm recht schwierig und da er über eine erhöhte Gewaltbereitschaft verfügt, ist an sich mit ihm nicht so wirklich gut Kirschen essen. Als er heute morgen zum Frühstück erschien und sich erst nach vielen Hin und Hers sich vom Hof komplementieren lies, merkte die zweite Tochter mit ernstem Gesicht an:
"Der Mann is kloppt."
Recht hat sie. Aber: wer ist es nicht?

Das zweite Kind sorgte auch in der vergangenen Woche für allerlei Erheiterung und Erstaunen, denn sie äußert sich zu allen möglichen Sachverhalten ungefragt und bringt dann oft trockene passende Antworten, deren Humor manchmal sogar der ersten Tochter verborgen bleibt. Altklug nennt man das glaube ich. Sowas kannte ich bisher immer nur aus dem Fernsehen - nun darf ich es selbst erleben. Die Leute wundern sich, wenn sie das Kind nach dem Alter fragen und sie zwei Finger in die Luft streckt. Dann werden wir Eltern immer gefragt, ob das auch stimme. Daraufhin sagt dann das Kind ernst: "Ja. Und bald werde ich..." *drei_Finger_in_die_Luft_streck*

Fein auch, als am Montag sich das Nachbarskind mit der ersten Tochter verkrachte. Das Nachbarskind empfindet bei uns reine Freiheit - zumindest sieht es wohl keine Grenzen, die es zu respektieren gilt. Das ist manchmal nicht ganz unkompliziert. Besonders weil dann die erste Tochter sich oft bemüht sieht, ähnliches nach zu machen. Auch die zweite Tochter hat bei solchen Dingen einen riesen Spaß, weiß aber augenscheinlich um den unerwünschten Charakter des Tuns und kostet eben bewusst den Reiz des Verbotenen aus. Sachen aus dem Fenster schmeißen ist gerade diesbezüglich ganz groß in Mode.

Jedenfalls gibt das Nachbarskind oft den Ton an und die erste Tochter macht da auch freudig mit. So ist sie halt. Und da kann es dann auch schon mal vorkommen, dass die Mädels mit dem Gummihopse-Seil statt zusammen zu springen, sich gegenseitig schnipsen. Erst das Nachbarskind die erste Tochter, dann die erste Tochter, weil es ihr in diesem Moment reichte und der rechte Arm rot war und sehr schmerzte, das Nachbarskind. Dieses war davon unheimlich überrascht und wusste nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Perplex stand sie da und wollte gerade zu einer wütenden Rede gegen die erste Tochter ansetzen, als die zweite Tochter mit einer enormen Kraft als kleiner Wutball angelaufen kam und ihre große Schwester verteidigend, das Nachbarskind auch noch schubste. Das stellte sich daraufhin vor die beiden Schwestern und schrie:
"Ich hasse euch! Ich komme nie wieder hierher." Dann stapfte sie von dannen.

Mich beschäftigte das sehr und ich grübelte, wie ich nun vermittelnd eingreifen könnte. Normen und Werte - ja, damit wollte ich diesmal was beim Kinde erreichen. Also fragte ich die erste Tochter, wie es dazu gekommen sei und was es nun zu tun gebe... Die zweite Tochter wohnte dem Gesprächsversuch bei und als es dazu kam, dass das Nachbarskind gegangen sei, sagte sie wieder in ihrem ernsten Wesen: "Ich habe sie gechubt. Vom Seil weggechubt."

Ja und wie beziehe ich ein schubsendes Kind in meinen Erziehungsplan mit ein? Derweil ich darüber noch nachsann, kam das Nachbarskind und sagte zur ersten Tochter: "Kommst du?" Und wollte voraus in den Garten. Diese jedoch antwortete: "Du, ich hab hier noch was für dich." Und holte die Gummibärchen heraus, die sie nicht mag - im Gegensatz zum Nachbarskind. Alles in bester Ordnung und das ganz von alleine. Was mische ich mich als Vatter da eigentlich überhaupt ein?

Liebe Grüße
euer Herr Gaigals

Flutupdate: Der Unterricht ist an meiner Schule der Flut wegen für Montag und Dienstag ausgesetzt. Die Lehrer helfen dem DRK bei der Versorgung der evakuierten und in der Schule untergebrachten Bevölkerung. Es gibt leider auch schon Versorgungsengpässe. Zum Beispiel können die Brötchen von der östlichen Elbseite nicht mehr in die Schule gebracht werden. Jetzt gilt es, dass alle zusammenhalten und sich gegenseitig helfen und unterstützen. Jede Hilfe zählt.

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Tagebuch Herr Gaigals

Herr Gaigals
Alter: 36
Wohnort: bei Dresden
Beruf: Krankenpfleger und zukünftig Lehrer
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: 2 Töchter, 5 und 2 Jahre
Letzter Eintrag: 30.09.2013

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