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30.09.2012 3. Woche
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Sozialphobie vs. dichte Infrastruktur

Vom Land in die Stadt. Spaß mit Großeltern. Das Gute am Waldkindergarten. Noch ein Fest trotz Sozialphobie und Reizüberflutung.
Diese Woche stand im Zeichen des "Rückzugs" in unsere Stadtwohung. Was bedeutete, dass die Zelte bei meinen Eltern abzubrechen, Projekte abzuschließen und die Heimfahrt zu organisieren waren.

Alles wurde erst Donnerstagabend soweit fertig, dass ich mit den Kindern hinter der Frau herreisen konnte, die an diesem Tag ihre letzte schriftliche Prüfung im Studium zu absolvieren hatte und dies mit einem guten Gefühl auch zu Ende brachte.
22:17 Uhr startete die Fahrt gen Süden. Keine zehn Kilometer waren beide Kinder im Auto eingeschlafen. Von kurzen Unterbrechungen abgesehen, in denen die Kindlein mal etwas sagten und schauten, wo wir denn nun seien, schliefen sie die Fahrt durch und wir waren 1:37 Uhr am Ziel. Ich weckte die Frau und sie half mir, die Kinder in die Wohnung zu tragen. Die erste Tochter schlief dann auch gleich beruhigt weiter, die zweite allerdings war glücklich, die Mama wieder zu haben und war munter, genau wie diese selbst. So blieben wir alle noch bis nach vier Uhr auf und fielen dann erschöpft und glücklich in die Betten.

Freitag nun wurde versucht auszuschlafen, was aber die erste Tochter nicht so recht zulies. Glücklicherweise lies die Frau Tochter zwei und mich schlafen und so ließen wir den Tag langsam beginnen. Am Nachmittag fuhren wir zu den Schwiegereltern zum Antrittsbesuch. Diese wohnen zum Glück nur ca. 20 km entfernt. Ein Freund sagte einmal, dass eine gute Entfernung die Eltern resp. Schwiegereltern in der Nähe zu haben sei, wenn diese sich wenigstens einen Mantel anzuziehen hätten, um zu einem zu kommen ;-)
Dort ließen wir auch gleich die erste Tochter für zwei Nächte und hatten so einen ganz schönen Start in der Stadt, der mit dem Kleinchen alleine doch auch etwas ruhiger verlief, als wenn wir zu viert in der Neubauwohnung aufeinander hocken.

Das ist auch einer dieser Aspekte, die die ersten Stadttage so mit sich brachten: Stress. Hier läuft das Leben dichter ab. Aber auch unpersönlicher. Der ganze Termindruck, der gleich über mich hinweg schwappte, wie eine riesige Welle, die droht die ländliche Entspannung auszulöschen. Es war aber auch interessant, dass ich zum Ankommen erst einmal Zeit brauchte. Zeit, um verschnaufen zu können. Um zu lauschen, welche Ruhe in mir drinnen war, als ich hier ankam. Diese Ruhe entstand dadurch, dass nicht ständig meine Eltern um uns herum waren und gleichzeitig wusste noch keiner, dass wir wieder dauerhaft hier sind.

Doch hielt diese Ruhe nicht lange vor. Es war für mich auch etwas, wie ein Lebenswandel. Ein Wandel von der besinnlichen Atmosphäre des Landes in die Stadt, die niemals schläft. Auf dem Dorf wurden 0:05 Uhr die Straßenlaternen für vier Stunden ausgemacht. Auf dem Dorf gab es auch Autos, aber hier in der Stadt kommt die zweite Tochter mit dem Autozählen nicht mehr hinterher. Am ersten Tag sollte sie auf dem Rücken der Frau Mittagsschlaf machen. Es war aussichtslos: "Da nemand, da auch, da auch nemand, da nemand, da auch..." Sie sah lauter Jemande auf der Straße und viele von denen hatten "Wauwau" dabei: "Papa-Wauwau, da Baby-Wauwau, Mama-Wauwau auch..." und dann eben massig "Auti": "Da Auti, Auti blau, da Auti rot, da Auti auch..." Nicht nur dass das Klindlein reizüberflutet war, es vermisste auch Bezugspersonen, denen es im vergangenen halben Jahr deutlich näher gekommen war: "Ami" und "Pi" resp. Omi und Opi. Nach denen fragte sie mehrfach und meinte auch "Auti Popo, Ami, Pi.", was soviel wie eine Aufforderung ist, sich ins Auto zu setzen und zu Oma und Opa zu fahren. Wir dachten erst, sie will mit zu den Schwiegereltern und zur älteren Schwester - nein, sie wollte wieder zurück :-(

Hinzu kommt, dass die zweite Tochter durch die Woche, die ich mit den Kindern alleine bei meinen Eltern verbrachte, nun zwangsabgestillt wurde, was der Frau ein Aufleben beschert und dem Kinde in Anwesenheit der Mutter den Verlusstschmerz verdeutlicht. Gestern hatte die Frau versucht, das Kind ins Bett zu bringen - es führte kein Weg hinein. Als beide dann einander aufgaben, war ich gefragt und keine 5 Minuten später schlief das Kindlein tief und fest (es war auch der Erschöpfung des Weinens geschuldet...).

Heute kam nun die erste Tochter von den Schwiegereltern wieder. Wir kochten einen Drei-Liter-Vanillie-Pudding und feierten im Waldkindergarten dessen 15jähriges Bestehen. Es kostete mich einiges an Überwindung, da mit hinzugehen. Dabei war klar, dass es ein schönes Fest werden würde und ich da mit lauter netten Menschen eine gute Zeit haben würde. Und doch war mir der Trubel einfach schon im Vorfeld zu viel. Nur gut, dass ich da heute aber mit hingegangen war. Es war so, wie ich es mir vorstelle: die Eltern bauen ein Buffett auf und stehen dann in Grüppchen rum und unterhalten sich gemütlich, derweil die Kinder sich in ihrer Gruppe zerstreuen und die Gegend unsicher machen. Ab und zu konnte ein Kindlein erspäht werden, was gerade mal sich etwas zu Essen holte, ansonsten liefen alle durch die Gegend und beschäftigten sich intensiv mit sich. Was für ein Spaß!

Ein Wald-Kindergarten ist m.E. das Beste, was einem in der Stadt für das Kind passieren kann. Unsere erste Tochter liebt ihren Kindergarten. Sie vermisst dort kein Spielzeug und auf die Frage, die am Häufigsten gestellt wird: "Was macht ihr denn bei Regen?" hat sie schon von Beginn an eine einfache und selbstverständliche Antwort parat: "Wir ziehen unsere Regensachen an."

Unsere Kinder brauchen die Natur. Richard Louv prägte das Wort "Natur-Defizit-Syndrom". Und ja, genau das existiert. Das ist kein Quatsch. Ich kann es bei meinen Kindern beobachten, wie sie mit der Natur leben. In der Stadt in der Neubauwohnung fehlt ihnen einfach etwas. Auf dem Dorf brauchten wir keinen Fernseher, kein Spielzeug, keine Unterhlatung für die Kinder. Es gab auch manchmal etwas Langeweile, die ausgehalten sich in einen Kreativschub wandelte. Die Kinder hatten einfach kein Sitzfleisch. Sie waren kaum zu den Mahlzeiten an den Tisch zu bekommen. Abends mussten wir sie ins Bett "prügeln" - immer mit dem Versprechen, dass sie morgen wieder raus dürften und weiterhin den Garten, den Wald, die Wiese und alles, was da kreucht und fleucht erkunden könnten.

Die Stadt ist dazu das ganze Gegenteil. Hier musst du dich um die Verabredungen deines Kindes kümmern. Die Kinder können sich nicht alleinorganisiert treffen. (Das ging auf dem Dorf allerdings auch lange nicht mehr so selbstverständlich, als wie zu meinen Kindheitszeiten.) Wir brauchen hier Spielzeug, sonst kriegen die Kinder einen Wohnungskoller. Und den haben sie so oder so, auch wenn wir am Vormittag als erstes nach dem Frühstück raus gehen. Das ist sowieso eine unheimlich wichtige Sache: als erstes raus mit den Kinds an die frische Luft. Und zum Glück haben wir die Elbe in unmittelbarer Nachbarschaft - so können die Kinder Freude daran haben, die Elbwiesen unsicher zu machen. Und auch wenn die erste Tochter ein Waldkind ist, so reicht diese Erfahrung, die sie da macht nicht aus. Es ist eben nicht das Selbstverständliche in dieser Welt, so mit der Natur zu leben, dass sie auch spürbar die Grundlage unserer Existenz bildet. Besonders in der Stadt ist dies eben ein Fakt, der gerne vergessen wird. So bin ich unheimlich froh über unseren Platz im Waldkindergarten, der es der ersten Tochter wenigstens ein wenig ermöglicht, Naturerfahrungen machen zu können.

Als sie das erste Mal in den Kindergarten kam und wir durch den Wald geführt wurden: "...hier ist der Morgenkreis-Platz, hier ist die Abgabestelle, hier ist der Frühstücksplatz, hier werden die Kinder wieder abgeholt..." da frage sie oft: "Wo ist denn nun mein Kindergarten?" Sie verstand es nicht, dass wir auf den Wald zeigend antworteten: "Das hier alles ist dein Kindergarten..."

Was dieser Kindergarten in fünfzehn Jahren alles auf die Beine gestellt hat, was er erreicht hat, das ist enorm. Er ist für viele Kinder die Möglichkeit, in einer stressreichen Umgebung doch auch mit den Wurzeln verbunden zu werden - und keins der Kinder vermisste in der Natur Spielzeug, Technik, Plaste, Klettergerüste oder Bastelkram. Und doch ist es nochmal etwas anderes, die Natur als Bestandteil des Lebens in dem eigenen mit integriert zu haben. Das ist nur auf dem Dorf möglich. Z.B. eben wenigstens ein bisschen eigenes Gemüse zu ernten oder ein Tier zu halten. Aber ein Waldkindergarten ist für uns Stadtmenschen doch immerhin eine gute Alternative.

Ich wünsche euch eine gute Woche,
euer Herr Gaigals

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Kommentare von Lesern:

 
Klingone Northeim:
07.10.2012 19:02
Abstillen ist eine Riesenchance für den Vater! Es klappen auch die Sachen, die vorher mit Milch und mama assoziiert waren - wie hier das Zu-Bett-bringen. Allerdings kann es passieren, dass die Kids neue Macken ausbilden, wie nur einschlafen, wenn sie in den Haaren der Eltern mit dem Finger herumwühlen etc. Aber auch da schafft das Abstillen die Chance, klare Position zu beziehen und vom Kind zu fordern: schlaf ein. Und ganz oft klappt das.

Tagebuch Herr Gaigals

Herr Gaigals
Alter: 36
Wohnort: bei Dresden
Beruf: Krankenpfleger und zukünftig Lehrer
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: 2 Töchter, 5 und 2 Jahre
Letzter Eintrag: 30.09.2013

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