Die Tour des Lebens geht immer weiter. Wir waren bei unserer Osteopathin und haben eine Wochenstruktur entwickelt, Pläne geschmiedet und das größte sportliche Ereignis des Jahres besucht, allerdings nur zu zweit.
Liebes Schwesterchen,
wir telefonieren wirklich wenig, vom Sehen ganz zu schweigen. Dennoch bin ich in Gedanken oft bei euch. Ja, es ist eine aufregende Zeit und oft zerrinnt sie mir einfach durch meine Finger, wie der Sand der Wüste. Doch auch die vorhandene Familie gilt es zu pflegen. Vielleicht sollten wir mal Ideen dazu per Mail austauschen.
Unsere Woche begann hektisch mit einem spannenden Ausblick zum Ende der Woche hin. Doch der Reihe nach. Für den Montagvormittag hatte ich mit meiner Frau einen Big Deal (wollte ich unbedingt auch mal schreiben) vereinbart. Ich durfte mich im Baumarkt austoben, während ich gleichzeitig ihren Bestellzettel für die Praxis mit abarbeiten durfte. So stand ich, nachdem ich die großen Kinder in ihre Schule und Kita gebracht hatte, vor dem Baumarkt, mit zwei großen Einkaufszetteln und dachte, dass es eigentlich schlau wäre, erst den einen und danach den anderen abzuarbeiten, da ich getrennte Rechnungen brauchte. Doch in meinem Großmut mit mir selbst, nahm ich mir vor, alles auf einen Wagen zu packen und an der Kasse auseinander zu dröseln. Nachdem ich viel später und mit Überlänge den Wagen durch die Gänge zirkelte und froh war endlich an der Kasse zu sein, fing die Sortiererei an. Dabei durfte nichts schiefgehen, verrutschen, auf den Boden fallen und vergessen werden. Nachdem ich etwas durchgeschwitzt meine Visa-Karte zum Bezahlen zückte, fing der Spaß aber erst an. Sie ging nicht. Die Kassiererin bot mir drei Versuche an, um mich dann mitleidig anzuschauen und mit den Worten: „Na, nicht gedeckt?“ freundlich von weiteren Versuchen abzuhalten. Kurz ging ich alle Eventualitäten durch. Doch eine Unterdeckung war auch im ungünstigsten Fall nicht möglich. „Na, Bar oder hierlassen?“ war dann die mir angebotene Auswahl. Bar wäre nur zum Teil gegangen und die Ware wollte ich schon mitnehmen. So zog ich mich zurück, um meine Optionen zu prüfen. Ich entschied mich meine Bank anzurufen, die mir freundlich mitteilte, dass meine Karte präventiv gesperrt worden war. Präventiv - was bitte? Naja, ein Unternehmen, bei dem ich die Karte benutzt hatte, war gehackt worden und zur Sicherheit haben sie deshalb alle Karten, so auch die meine, vor einer Stunde gesperrt. Kurz zuvor hatte ich einen Bericht über schwarze Listen von Banken gelesen (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/banken-auf-der-schwarzen-liste-der-banken-1.3557704) und sah mich schon von jeglichen Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Doch nun rang ich freundlich um eine Lösung und siehe da, es gab eine. Denn unter bestimmten Voraussetzungen kann die Karte kurzfristig freigeschaltet werden. Eine neue, inkl. PIN, sollte innerhalb der kommenden 14 Tage folgen. Nun dachte ich, in meinem jugendlichen Übermut, gleich noch mehr zu erreichen und erzählte von einer geplanten Reise und ob wir den Erhalt der neuen Karte nicht beschleunigen könnten. Das war natürlich nicht möglich. Da ich aber neugierig bin, wollte ich zumindest wissen, welchem Unternehmen ich diese Unannehmlichkeiten zu verdanken hatte und ob ich bei dem offensichtlichen Leck in Zukunft dort gar nicht mehr, oder anders einkaufen sollte. Auch da erhielt ich einen Korb. Immerhin müsse der Ruf des Unternehmens gewahrt werden. Die hätten mich mit meinem riesigen Wagen mal an der Kasse sehen sollen, inklusive wieder einpacken und abzittern. Nun gut, das kleine Fenster für die Bezahlung öffnete sich und ich nutzte es. Inzwischen habe ich oft und viel mit meiner Bank telefoniert, um noch so manch anderes Fensterchen zu bekommen. Geklappt hat das immer. Trotzdem kam ich am Montag ziemlich angeschlagen nach Hause.
Doch dort mochte ich es kaum glauben. Es lag ein Schreiben von der Kindergeldstelle im Briefkasten. Nach unserem Antrag, der fälschlicherweise durch mich gestellt worden war und dem neuen Antrag hatten wir nach der ersten fehlerhaften Bewilligung und deren nachfolgende Korrektur, nun eine erneute Korrektur im Briefkasten. Und sie war richtig korrigiert. Damit konnten wir dieses Thema endlich abschließen. Solche Schreiben können mich richtig glücklich machen, merkte ich. So was kann aufbauen.
Währenddessen ging es Polly im Laufe der Woche langsam immer besser. Ihre Haut, mit all den vielen roten Pickeln machte uns dennoch Sorgen. Doch meine Frau pflegt fleißig und so sahen wir auch an dieser Stelle langsam, Land zum Ende der Woche. Wir haben festgestellt, dass sich unsere Zwillinge in einigem voneinander teilweise deutlich unterscheiden. Eines davon ist die Haut. Sie fühlen sich unterschiedlich an.
Beide haben innerhalb ihrer 10. Lebenswoche immer öfter gelächelt. Polly öfter und auch mit deutlicherem Blickkontakt. Die Kleine scheint ein lustiges Wesen zu haben. Wobei Lysanne schon ernsthafter wirkt und zumindest mich deutlich seltener anlächelt. Sie schaut mich eher mahnend an. Ich habe in den Entwicklungsschritten gelesen, dass die Eltern mit ihrem Nachwuchs in dieser Zeit verstärkt grimassieren sollen. Bei Lysanne liege ich damit vollkommen auf dem Holzweg. Sobald ich damit anfange, legt sie ihre Stirn in Falten und schaut streng, bis ich aufhöre.
Der Nestschutz, also die Immunabwehr, welcher bei der Geburt entsteht, lässt nun im Laufe der Zeit nach. Deshalb sollte man als Elternteil gewappnet sein. So steht es in den Entwicklungsschritten geschrieben. Bei uns macht die Gesundheit in allen Bereichen Fortschritte und gut vorbereitet sind wir auch. Wir sind sogar dabei einen Schlafrhythmus zu entwickeln, oder die Zwillinge entwickeln ihren an uns. Lysanne ist wie unsere anderen Kinder eine Frühaufsteherin und kommt deshalb auch früh zur Ruhe. Unsere viel lächelnde Polly nimmt da mal einen anderen Weg. Sie mag es spät zu erwachen und auch spät einzuschlafen. Während Lysanne schon gern mal vier Stunden am Stück schläft, begnügt sich unsere Jüngste so mit drei. Wir nennen das Rhythmus und ich frage mich, wie das wird, wenn sich die Beiden mal ein Zimmer teilen. Ich sehe mich schon das Zimmer trennen, um die Schlafbedürfnisse meiner jüngsten Töchter zu unterstützen. Zum Glück ist es ja groß genug.
Im Wohnzimmer haben wir noch ihr großes Zwillingsbett stehen und zur Anregung nun auch ein Mobile mit unterschiedlichsten Funktionen darin. Den schaukelnden, zu schiebenden, hängenden und klingenden Elementen folgen beide mit großer Aufmerksamkeit. Sie sind jetzt tagsüber immer wacher und wollen beschäftigt werden. Sobald sie sich am Mobile satt gesehen haben und sie ihre eigenen Bewegungen ermüden, wollen sie gern auf den Arm. Unsere Nähe wissen sie zu schätzen und fordern diese auch aktiv ein. Wie ich Zwillinge gleichzeitig halten soll, weiß ich aber immer noch nicht. Deshalb lernen die Beiden auch schon das Warten.
Der Entwicklungsleitfaden für Babys sagt aus, dass zu beobachten ist, dass die Babys ihre Hände vermehrt offen halten. Also ich will ja nicht angeben, aber dieses Stadium haben wir schon lange hinter uns. Auch die Greiffunktion konnten sie schon. Dafür werden ihre Griffe fester und fordernder. Manchmal greift mich eine meiner kleinen Töchter am Ausschnitt so fest, als wollte sie mich schütteln. Ihre Handbewegungen erleben den Versuch der Koordination. Dabei können die kleinen Händchen und Fäustchen schon mit gehörigem Schwung in Gesicht fassen. Erst vor kurzen erzählte mein Sohn, überrascht von einem kräftigen Schlag neben sein Auge. Er wird sich noch wundern, wenn die Mädels größer werden.
Die Speicheldrüsen sollen nunmehr entwickelt sein. Bei Polly kann ich dies bestätigen. Sie sabbert zum Teil ordentlich. Lysanne ist dafür vielleicht zu ernsthaft, oder in meiner Gegenwart zu beherrscht. Diese parallele Entwicklung zu erleben, zu begleiten ist einfach genial.
Zitat aus den Entwicklungsschritten eines Internetanbieters:
Versuche, die Größe Deines Kindes zu messen und notiere, wie viele Zentimeter es seit seiner Geburt gewachsen ist. Gibt es Vergleichsdaten mit Geschwisterkindern? Wenn Dein Baby schon stehen könnte, bis wohin würde es Dir reichen? Bis zu den Knien?
Das haben wir verpasst und das ist auch okay so. Mich erinnert das eher an ein Säulendiagramm und ein Wettbewerb. Das sind Dinge, die ich nicht beeinflussen kann und sicherlich werden wir die zwei beim nächsten Hebammenbesuch messen und wiegen. Doch wie viel meine zwei Großen mit 10 Wochen gewogen haben, ist mir inzwischen mindestens entfallen.
Ihre Entwicklung aber nicht. Entwicklung gab es auch bei uns. An einem Abend musste meine Frau nochmal kurz in ihre Praxis und fuhr mit dem Rad. Das war mein erster kurzer Abend mit allen vier Kindern allein. Und sie waren so ruhig und friedlich. Alle vier. Wahre Bilderbuchkinder. Also habe ich mir den Moment eingeprägt und genossen.
Zum Ende der Woche hatten wir unseren Termin mit den Zwillingen bei unserer Osteophatin. Und vor dem Termin taten wir etwas, was man als Luxus bezeichnen könnte. Wir gingen in unser Lieblingscafé und nahmen uns Zeit als Ehepaar. Verrückt was? So mit vier Kindern, davon zwei knapp zehn Wochen alte Zwillinge. Darf man das eigentlich? Nun keine Sorge, wir waren ja im öffentlichen Raum. Doch wir haben ungestört und ohne Aufgaben abzuarbeiten miteinander reden können. Die Beiden schliefen brav dazu. Was haben wir für rücksichtsvolle Kinder. Sicherlich hätten wir in dieser Zeit uns unsere Liebe gegenseitig in Prosa beschreiben können. Doch wir haben vielleicht etwas viel wertvolleres, wenn auch auf den ersten Blick völlig unromantisches getan. Wir haben die Tage der Woche strukturiert. Das liest sich nun wirklich so technisch, dass man es gar nicht wahrhaben möchte. Doch wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass, wenn wir uns zusammen, im Einzelnen und jedem Kind gerecht werden wollen, dazu noch Arbeit, Job, Freunde, Familie etc. nicht aus den Augen verlieren wollen, uns eine Struktur schaffen müssen und wollen. So haben wir die Tage von morgens bis abends geplant. An verschiedenen Wochentagen, bevorzugt abends, auch Zeit füreinander eingebaut und über eventuelle zwangsweise Verschiebungen und andere unplanbare Eventualitäten als Störung unseres Planes gesprochen. Also gleich einen Notfallplan entworfen. Was sich nun nach DIN-Norm anhört, ist die Chance, statt bei einem Café Liebesprosa auszutauschen, diese wiederholt wöchentlich immer wieder zu tun. Oder zumindest Zeit miteinander zu verbringen. Nun müssen wir uns nur noch daran halten. So einfach ist das dann.
Während in Berlin durch den Dauerregen das Wasser langsam bergan floss, kämpften wir uns durch die halbe Stadt zur Osteopathin. Ich halte mich ja meistens für einen aufgeklärten optimistischen Realisten, mit wenig Ahnung von Medizin. Und manchmal habe ich bei Osteopathie so meine Zweifel. Doch ich bin immer wieder von deren Wirkung verblüfft. Seitdem wir dort waren, geht es Polly merklich besser. Die Pickel nehmen so stark und vermehrt ab, dass es schön ist mit anzusehen. Und: Die Bewegungen sind viel umfangreicher geworden. Polly hat sich von ihrer Lieblingsseite trennen können und beide sind aktiver und kraftvoller seit dem Termin. Sie wirken präsenter.
Auf dem Rückweg habe ich darüber nachgedacht unser Auto wieder zu verkaufen und uns stattdessen ein Boot anzuschaffen. Tropisch nicht enden wollende Regengüsse fielen einfach so nach unten. Wo vorher noch Asphalt war, war später ausschließlich Wasser. Doch bevor ich verkaufe, ziehe ich vielleicht noch den Auspuff nach oben. Das dürfte den Wert des PKWs steigern. Somit wären dann auch tiefe Pfützen kein Hindernis mehr.
Am Folgetag ging es dann los. Freitag ganz früh ließen mein Sohn und ich all unsere Frauen zurück und wir zogen aus, um Zug zu fahren. Der Regen gönnte uns zum Glück etwas Verschnaufpause, so dass wir trockenen Fußes zum Bus kamen. Wir stellten fest, dass wir zuvor noch nie so lange nur zu zweit unterwegs gewesen waren. Zwei Nächte und drei Tage reinste Vater Sohn Zeit. Selbstverständlich für ein großes Ereignis. Nach 30ig Jahren startete die Tour de France wieder in Deutschland und wir wollten dabei sein, mitten in Düsseldorf. So zogen wir aus, bei schlechtem Wetter, um mitten im Regen, die 198 besten Radfahrer der Welt zu sehen. Während dieser Zeit telefonierten wir mindesten zweimal mit der Mama und der „großen“ Schwester, um zu fragen wie es ihnen ergeht und um all unsere Erlebnisse loszuwerden.
Von der Spree an den Rhein, von zweien die was erleben wollten/sollten. So könnte die Überschrift auch lauten. Dabei entdeckten wir in einem Geschäft auch das Bild von der Großfamilie in einem Bett, welches und beide wahrlich einlud unserer Phantasie noch weiteren freien Lauf zu lassen. Leider konnten wir nicht herausfinden wer es malte oder ob es gar verkäuflich war, da das Geschäft fest verschlossen war. Für das Bild hätten wir Platz im Wohnzimmer gefunden.
Als ob wir einen Teil des Regens mitgenommen hätten, standen wir später im Regen an der Strecke und schauten uns gut die Hälfte der weltbesten Radler an. Danach begaben wir uns zurück auf unser Zimmer um zu quatschen und uns zu erholen. Am Folgetag zeigte ich meinem Sohn noch die Werbekarawane und wir suchten typische Mitbringsel aus dem Fundus der Tour aus. Was gibt es besseres als auf der Kö ein Tour-T-Schirt zu kaufen? ;-) Danach haben wir uns noch den Start der 2. Etappe angeschaut und sind nach kurzen Überlegen hungrig in eine Pizzeria eingefallen.
Am Abend ging unser Zug nach Hause und mit etwas Verspätung trafen wir dann am Bahnhof und schlussendlich gegen halb eins nachts zu Hause ein. Nicht ohne unterwegs den liebvollen Hinweis einer älteren Dame zu erhalten, dass man so etwas mit einem Schulkind nicht täte. Offensichtlich doch. Ich bin ein Rabenvater und erklärte meinem Sohn, dass die Dame besorgt gewesen sei, dass er für den folgenden Schultag womöglich zu müde sei. Zu meiner eigenen Überraschung kam er gut aus dem Bett und wirkte selbst nachmittags noch frisch. Doch ich greife vor. Denn als wir nach Hause kamen, wartete meine Frau und Mama auf ihre heimkehrenden Männer. Wir erzählten von unseren Erlebnissen, bis ich mich wegstahl, gleich bei der erstbesten Gelegenheit ins Schlafzimmer schlich, um mir meine Töchter anzuschauen. Während die „Große“ quer über das ganze Ehebett lag und alle viere von sich streckte, schliefen die beiden Jüngsten brav nebeneinander. Es war erstaunlich, doch ich hatte den Eindruck, sie waren gewachsen. Den friedlichen Anblick nicht weiter störend verließ ich das Zimmer, um mich am Ende der Woche fertig für Morpheus Arme zu machen.
Die 10. Lebenswoche unserer Zwillinge ist abgeschlossen und ich freue mich auf die Elfte.
Eine schöne Woche,
Daniel
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