17.06.2013
39. Woche
Die Schule als Auffanglager
Von Füten und Fumen, vom Tommen und Tochen
Meine Mutter hat Geburtstag. Daher gab es ein Fest und ich konnte den Tag aber in aller Ruhe beginnen und ausschlafen. Die Töchter waren kurz nach dem Aufstehen gleich mit der Frau auf dem Weg zur Gärtnerin in Nachbarort, um Blumen und Gemüse zu kaufen. Das ist so richtig toll, wenn so jemand in der Nähe wohnt und dann noch mit uns befreundet ist. Lecker Gemüse und wir müssen uns nicht mal selbst im Gartenbau bemühen. Der eigene Garten läuft dann bei uns eher in einer Testphase, ohne Erfolgsdruck.
Schönstes Sommerwetter und dabei sind wenige Kilometer von hier die Menschen mit enormen Kräften bemüht, die Fluten der Elbe einzudämmen. Was da für Wassermassen sich den Weg bahnen, ist unvorstellbar. Die Menschen selbst in der Schule zu erleben und mitzubekommen, wie sie hoffen und bangen und die ganze Zeit in einer Ungewissheit sind, was mit ihrem Hab und Gut geschah und was daraus noch werden wird, ist unheimlich aufregend und anstrengend. Ich bewundere all die Helfer, die sich bereit erklären, für die von der Flut Betroffenen da zu sein und ihnen zur Seite zu stehen. Auch die Spendenbereitschaft in der Bevölkerung ist enorm. Was alles in die Schule gebracht wurde, ist fast genau so bewegend, wie die Evakuierten hier zu erleben.
Doch habe ich manchmal das Gefühl, dass die Hilfe am Bedarf vorbei geht. Also es kommen massig Sachen in der Schule an, die werden eben in solchem Umfang im Moment noch nicht gebraucht. Daher fährt das DRK dann die Sachen zu Lagern, um es für später aufzueheben. Die Frau war 2002 selbst von der Weißeritzflut in Freital betroffen und wurde da auch evakuiert. Danach gab es Bezugsscheine für die gespendeten Sachen. Sie lief dann mit ihrem Opa durch eine riesige Halle und durfte sich was aussuchen - ja aber was? Diese Frage stellt sich oft - und jetzt eben noch nicht. Die Betroffenen wissen doch noch gar nicht, wie es bei ihnen zu Hause ausieht. Daher habe ich den Plan und Wunsch, durch Anregung einer Freundin aus dem Nachbarort, Flutpatenschaften zu bilden. Ich will erstmal sehen, was die Schulleitung dazu für eine Meinung hat und dann können wir vielleicht zusammen mit den Schülern anfangen, noch mehr hilfswillige Menschen zu finden, die dann an konkrete Familien vermittelt werden. Das Projekt soll vieleicht "Flut-Paten 2013" heißen und mal sehen, was dabei heraus kommt.
Bei soviel Unterstützungsbedarf ist es natürlich schwierig, entsprechend viele Menschen aufzutun, die auch bereit sind, nicht nur finanzielle und materiell, sondern auch mit Arbeitskraft und Einsatz vor Ort aktiv den anderen zu helfen - und das eben nicht alleine, sondern in einer Gruppe. Sport- und andere Vereine, Schulklasse, Kindergarten-Gruppen, die Freriwillige Feuerwehren etc. alle können vielleicht sich einbringen wollen. Die Schüler in der Schule direkt Kontakt zu diesen Einrichtungen aufnehmen und sie bitten, Adresslisten auszuhängen, auf dass die Hilfsbereiten dann auch vermittelt werden können. Ich nutzte auf jeden Fall meine Zeit dafür, um mich für dieses Projekt stark zu machen.
Andere wollten gerne die Zeit nutzen, Verwandte zu besuchen oder eben privat unter zu kommen, statt auf den Feldbetten in der Schule zu schlafen. Doch geht das für die Eltern von schulpflichtigen Kindern natürlich nicht, denn die haben ihre Kinder in die Schule zu schicken. Da ja alle ostelbischen Kinder evakuiert wurden und die westelbische Schule der betroffenen Gebiete hochwasser sicher ist, können die Kinder ja auch wieder in die ab heute geöffnete Schule gehen. Ich finde es erstaunlich, mit welchem Nachdruck der Schulpflicht hier in Sachsen-Anhalt hier entsprochen wird. Aber so sieht es auch auf dem Arbeitsmarkt aus. Wie ich erfahren habe, haben Berufstätige wieder zu arbeiten, wenn sie wohl auf sind und zu ihrer Arbeitsstelle kommen können. Alle die auf die westliche Seite der Elbe evakuiert wurden und nun in Sammellagern wohnen, haben von dort aus dann die Arbeitsstätten aufzusuchen, die auf der gleichen Elbseite liegen. Für alle anderen geht das Leben ja auch weiter.
So auch bei mir zu Hause, wo ich von der Flut ansonsten nicht viel mitbekomme. Wie sonst auch könnten wir einen Rentnergeburtstag feiern, bei all der Not vor unserer Haustür? Doch nicht nur Geburtstag wurde gefeiert, sondern auch viel Quatsch mit den Kindern gemacht. Die schlagen leider manchmal auch über die Stränge. Zum Beispiel haben sie ihren Onkel so geärgert, dass sie dann unter Tränen ins Bett gebracht werden mussten. Schade eigentlich. Wir haben in unserer Familie ein Signalwort, das zum Aufhören auffordert, was unbedingt einzuhalten ist: "Stop!" Das ist der Notknopf, der alles unterbricht, was gerade im Gange ist. Doch hat die erste Tochter manchmal das Wort nicht im Ohr oder eben es kommt nicht an. Jedenfalls kann ihr Onkel "Stop!" sagen wie er will, sie musste noch mehr aufdrehen. Schade.
Und dann gibt es immer wieder diese schönen Momente, in denen sie so fröhlich und schmusig ist und sich gibt, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Sie malt neuerdings richtige kleine Kunstwerke und singt so schön. Gestern wollte sie auf ale Fälle nicht mit mir mit dem Fahrrad mitfahren, als wir zum Fest radeln wollten. Als wir dann zurück kamen, schmiegte sie sich an mich und meinte: "Oooch Papi, schade, dass es schon vorbei ist. Mit dir könnte ich noch viel viel weiter fahren." Ja und auf dem Fahrrad sangen wir beide zusammen im Kanon "Es tönen die Lieder". Sie singt vor und ich falle ein - wundervoll. Sie zieht ihren Teil richtig gut durch und wir haben drei Durchgänge locker geschafft.
Die zweite Tochter redet unheimlich viel: "PAPI! Ich will dir was erzählen." So leitet sie ihre Geschichten ein. Und was sie nicht schon wieder alles erlebt. Gestern ging sie zum Pullern mal auf die Toilette und berichtete das ihrer Oma stolz: "Bin ich nicht ein braves Mädchen? Ich puller auf das Klo." Ansonsten redet sie so komplette Sätze auch, hat abernach wie vor niedliche altersgerechte Sprachschweirgikeiten in ihren Sätzen drin. So ist bie ihr das BL lieber ein F. Damit gibt es Fumen und Füten im Garten. Ungünstig ist nur, wenn sie ins Haus gelaufen kommt und aufgeregt berichtet, dass die große Schwester "futen" würde, weil sie sich "neidet" hätte.
Auch das "K" am Wortanfang bereitet ihr nach wie vor Schwierigkeiten. Aber wenn sie darauf achtet, kann sie alles sprechen. Sie will aber nicht. Nach wie vor niedlich finde ich ihre Äußerung, wenn sie zu einem läuft: "Ich tomme!"
Am Wochenende saßen wir am Esstisch und der Bruder hatte Sägespähne im Haar. Meint das zweite Kind: "Du, Onkel, Du hast Gänsebene in den Haaren." Nicht nur sie fand das unheimlich lustig.
Heute wird es als Nachbereitung des Geburtstagsfesten noch Spargel-Suppe geben und darauf hebe ich gerade so richtig Appetit.
Eine Gute Woche euch allen
euer Herr Gaigals
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