18.03.2013
26. Woche
Umzugsimpressionen
Von vollen Zügen, dem Jobcenter und Landerfahrungen
“Die Sannah und ich, wir haben erfahren, dass Tristi in Paula rein verliebt ist (verknallt). Er hat uns das gesagt und das wir es nicht weiter erzählen dürfen. Das haben wir aber gemacht. Hätte er es uns nicht erzählt, hätten wir es auch nicht weiter erzählt. Aber so haben wir es weiter erzählt.“
Ist das so ein Frauending oder ist es einfach nur menschlich, dass Dinge, die als „geheim“ eingestuft werden erst recht rumgetratscht werden?
Solche Informationen bekomme ich aus dem Kindergarten, wenn ich die erste Tochter alleine aus dem Wald abhole. Und da die zweite Tochter in dieser Zeit mit der Frau Mittagsschlaf hält, verbringe ich so mit der ersten Tochter auch mal Zeit alleine. Das ist so wertvoll. Was wir für einen Spaß haben und wieviel wir zusammen lachen. Ich kann mich ganz auf das Kind einlassen und das verbessert unser Verhältnis.
Im Moment sitze ich im Zug auf dem Weg in die neue alte Heimat. Morgen werde ich mich in der Schule vorstellen, in der ich hoffentlich mein Referendariat absolvieren darf. Ich mag es, mit dem Zug zu reisen. Eben flog auf der Elbe ein Schwarm Möwen vorbei und ich erfreue mich an den Streuobstwiesen, sogar eine ganz neu angelegte.
Es ist erstaunlich, wie voll so ein Zug am Sonntag um 7:17 Uhr von Dresden nach Leipzig ist. Auch Partypeople aus der Neustadt, dem Dresdner Szeneviertel, sind auf dem Weg nach Hause. Morgen, nach dem Vorstellungsgespräch fahre ich direkt wieder zu meiner Familie. Dann haben wir noch eine Woche zum Einpacken der Wohnung und in der Karwoche wird dann alles „verschifft“.
In der vergangenen Woche war ich ins JobCenter geladen. Für die Zeit zwischen Studium und Referendariat habe ich Elternzeit genommen und ALG II beantragt. Nun sollte ich der Sachbearbeiterin, einer hübschen hennaroten Dreadlockträgerin, erklären, warum ich Bildungspaketleistungen für die zweite Tochter vor zwei Jahren beantragt hätte und nun behaupten würde, mich in Elternzeit um das Kind kümmern zu wollen, bis es drei Jahre alt würde, oder meinen Vorbereitungsdienst beginne.
Meine Antwort gefiel ihr nicht. Ich sagte ihr, dass das Kind zur Zeit des Studiums zeitweise bei einer Tagesmutter war und nun, da ich zu Hause bin, ich mich selbst um den Nachwuchs kümmern würde. „Ja aber doch nicht auf Staatskosten!“ durfte ich mir anhören. Wo jedoch steht, dass ich nicht frei über die Betreuung meines Kindes entscheiden dürfte und dass ein einmal erhaltener Betreuungsplatz bindend sei, konnte sie mir auch nicht sagen. Diese deutsche Doppelzüngigkeit regt mich unheimlich auf. Auf der Spitze stehende Alterspyramide und „Wir Deutschen sterben aus“ und auf der anderen Seite nicht bereit sein, den Eltern Zeit mit ihren Kindern zu ermöglichen. Ich verstehe es nicht.
Der Zug ist so voll, dass die Zugbegleiterin für eine Familie die erste Klasse frei gegeben hat. Na es geht doch. Wer Lust und Laune hat, kann sich ja mal auf den Seiten des VVO die Stellungnahme der Bahn zu der Umstellung des Fuhrparks von Doppelstockwagen auf moderne einetagige Niederflurfahrzeuge auf der Strecke Dresden - Leipzig anschauen. Es ist faszinierend sich anzusehen, wie Leute offensichtlich versuchen, Anderen Mist als Gold zu verkaufen. Von der Umstellung hatte ich zuerst nur aus der Presse erfahren. Was regen sie sich denn so auf? War mein erster Gedanke. Jetzt kann ich es nachvollziehen.
Die überholten Ansichten, lieber dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, statt sich um die Kindererziehung und den Haushalt zu kümmern, vertritt mein Vater im Alter nun auch konsequent. Das steht zum krassen Gegensatz zu den Werten, die ich in meiner Erziehung erleben durfte - und das wundert mich. Ich erinnere mich an solche Ansichten nicht - Weder als gesprochenes Wort noch als gelebte Realität. Auch hier fehlt mir das Verständnis.
Als wir zum Probeunterricht vorletzte Woche in der Altmark waren, durften wir ein nur wenige Tage altes Kälbchen besuchen. Wir wurden auch mit viel frischer Rohmilch beschenkt. Die Kinder waren begeistert. Wir schauten uns alles ganz genau an. Und je mehr ich Achtung vor der Familie bekam, die die Kuh und das Kalb täglich versorgen, umso großer wurde die Freude der Kinder an den Tieren. Auf der Rückfahrt rief die erste Tochter im Auto begeistert: „Papi, nun haben wir gesehen, wie man es macht, jetzt brauchen wir nur noch eine Kuh.“
Auf der Rückfahrt nach Dresden saß neben uns im Zug eine schmuck angezogene dunkelhäutige Frau. Meinte die zweite Tochter kichernd mit dem Finger weisend: „Die Frau hat einen komischen Hut.“ Unheimlich lustig fand die zweite Tochter auch die Begegnung mit einem sehr dunklen Mann: „Papi, der Mann da hat ganz braune Ohren.“
Am letzten Wochenende gab es einen kleinen Zwischenfall beim zu Bett gehen. Die zweite Tochter war mit der Situation unzufrieden und geriet in einen Wutanfall. Sie war nackig und fing an, sich selbst zu hauen und griff sich dann in den Schritt und zerrte heftig an ihrem kleinen Genital herum. Der Arzt, den wir am Montag aufsuchen meinte, dass sie sich nur gekratzt hätte. Aber so sehr wie dass am Sonntag geblutet hatte, vermute ich eher, das sie sich versehentlich selbst deflorierte.
Als sie sich nicht beruhigen konnte und mich nicht bei sich haben wollte, da beschloss ich, sie nun doch zwangsweise zu ihrer Mama zu bringen. Ich hob sie hoch und da ist Blut auf dem Teppich, Blut an ihren Beinen und Blut an ihrer Scheide. Obwohl ich Krankenpfleger bin - bei sowas kann ich leider nicht ruhig bleiben. Das überforderte mich. Fremde und Familie ist doch ein enormer Unterschied. Ich litt gleich mal mehr als das Kind. Sie hatte dann auch bald tröstende Worte für mich. Also musste die Frau die Erstversorgung übernehmen - unter Anleitung und Beobachtung eines gelernten Kampflegers. Der Arzt am nächsten Morgen sagte, es sei alles gut und so können wir beruhigt sein.
Ich bin nun in Leipzig angekommen. Fast alle Geschäfte haben zu und es sind so wenige Menschen unterwegs. Zunehmend füllt es sich aber und nun werde ich neugierig: was ist heute hier los? Lauter auffällig geschmückte und verkleidete junge Frauen laufen hier anscheinend unabhängig von einander herum. Ich komme mir wie in einem Manga oder in Japan vor. Zweimal steige ich heute um, zweimal eine Stunde Wartezeit. Leipzig ohne Menschen ist zugig, kalt und mit den vergitterten Geschäften abweisend und unfreundlich. So konnte sich auch die Zeit danach anfühlen.
Uns steht die Woche des Packens ins Haus. Und ich bin wieder voll freudiger Erwartung auf das, was kommen mag. Die vergangene Nacht habe ich unruhig geschlafen. Doch als ich die Straßenbahn rechtzeitig erreichte und in ihr über die Elbe fuhr, ging gerade die Sonne auf und tauchte die Altstadt und die Brühlsche Terrasse in goldenes Licht. Herrlich. Ich werde Dresden vermissen.
Eurer Herr Gaigals
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