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08.10.2012 4. Woche
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Der erste Wackelzahn ist da!

Von Abenteuerspielplätzen, Herbststürmen, einer Schulanmeldung und dem ersten Wackelzahn.
Die erste Tochter hat seit Freitag einen Wackelzahn. Sie ist mächtig stolz und muss ihn überall herumzeigen. Da will die zweite Tochter ihrer großen Schwester in nichts nachstehen und zeigt ihren angeblichen Wackelzahn ebenso überall herum. Wenn ich den Zahn sehe, dann läuft mir ein kalter Schauer nach dem anderen über den Rücken. Huhhhh, Wunden, Blut etc. kann ich einfach nicht sehen - und das als Krankenpfleger. Der ersten Tochter macht es nichts aus - im Gegenteil, sie freut sich und sieht den Wackelzahn als Zeichen ihres Großwerdens an.

Am Montag habe ich erstmalig das Kindergartenkind mit dem Auto in den Kindergarten gebracht. Das wurde von der ersten Tochter auch gleich registriert: "Du hast mich noch nie mit dem Auto in den Kindergarten gefahren. Die Oma schon öfter, du noch nicht." Ich finde es sehr erstaunlich, was eine Fünfjährige schon für komplexe Sätze bilden kann. Noch erstaunter war ich, wie schnell wir per Auto zur Hauptverkehrszeit dann doch im Wald waren.

Wir haben kein Auto, denn in der Stadt reichen das Fahrrad und der ÖPNV vollkommen aus. Doch bin ich mit beiden Verkehrsmitteln etwa doppelt bis dreimal solange unterwegs, wie mit dem Auto. Dabei stehe ich nicht auf fossile Energieträger und deren Nutzung, weder für Verkehr, noch für die Energieerzeugung und habe auch darum kein Auto. Aber ein Elektromobil würde sich hier im Stadtverkehr eigentlich ganz gut machen. Das Auto brachte ich im Anschluss zu meinem Vater zurück, blieb bis Dienstag da und kam dann mit dem Regionalverkehr wieder zur Familie.

Am Mittwoch war Feiertag und so feierten wir die Geburtstage von Freunden im "Panama", einem Abenteuerspielplatz, mitten im Herzen der Dresdner Neustadt. Den Kindern gefällt so ein Spielplatz sehr und auch mich begeistert es immer wieder aufs Neue. Die haben da alle möglichen Viecher, angefangen bei den Angorameerschweinen, über die Hühner, Kaninchen und Pferde bis hin zu Schafen und Ziegen. Hinter diesem Spielplatz steht ein komplexes Konzept. Wer sich dort richtig mit einbringt und mithilft, kann so Kontakt zu Tieren aufbauen, sich in größerer Verantwortung üben und handwerkliche Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben.

Überhaupt ist hier ein komplexer Kompetenzerwerb möglich. Was mich aber stört ist, dass in unserer Gesellschaft die Notwendigkeit für solche Plätze besteht, damit die Kinder kindgerechter sich entfalten können. Wie ist es möglich, sowas auch im städtischen Leben einfacher zu integrieren? Und ich glaube nicht, dass es nur die Stadt betrifft. Auch auf dem Dorf ist zu merken, dass eine andere Zeit angebrochen ist.

Kennt ihr den Text, der manchmal als Rundmail kommt "als Twix noch Raider hieß"? Da gibt es genau diese Stelle: "Wenn wir zu einem Freund wollten, gingen wir einfach hin! Wir mussten nicht vorher anrufen oder einen Termin vereinbaren! Es kamen auch nie Erwachsene mit!" Der drückt diesen Wandel meiner Meinung nach ganz gut aus, auch wenn ich nicht für Schwermetall in den Farben der Bauklötzchen bin. Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Angst in den Herzen der Menschen in den letzten Jahren sehr zugenommen hat. Dabei haben wir doch jetzt die Freiheit und alle Möglichkeiten, sie zu nutzen, oder? Daher gefällt mir auch eine Partei, die die Meinung vertritt: "Freiheit statt Angst" - auf sowas muss man heute erstmal kommen.

Jedenfalls gibt es in Dresden mehrere solcher Outdoor-Spielplätze und sie gefallen mir alle gut und auch die Anliegen, die hinter diesen stehen. Problematisch war es nur, dass auf dem Spielplatzgelände natürlich Rauchverbot und ebenso kein Alkohol zugelassen war. So trafen sich die "Süchtigen" vor dem Spielplatz und als ich dann mit zwei Flaschen Sekt anrückte, wurde es so richtig gemütlich ;) Und so verbrachten wir den Tag der deutschen Einheit sekttrinkend vor einem Kinderspielplatz.

Einen anderen Abenteuerspielplatz besuchten wir Sonnabend. Wir hatten dazu Freunde eingeladen um uns in Dresden wieder zurück zu melden. Es gab Eselreiten und Puppentheater und trotz des Windes war es ein schöner Nachmittag im "Eselnest". Nebenan gibt es den "Freiraum Elbtal", der zufällig an diesem Tag sein Herbstfest feierte und so bog ich auf dem Heimweg mit der zweiten Tochter dort ab und schaute mir mit Freunden das Festgelände an, in der Zwischenzeit die Frau mit der ersten Tochter Freunde zum Zug brachte.

Der "Freiraum" ist leider von der Schließung bedroht, weil das ehemalige Industriegelände von der Stadt für die neue Hafencity genutzt werden soll. Lauter kuschelige Reihenhäuser oder Einfamilienbauten an der Elbe mit Grün drumherum und netten Einkaufsmöglichkeiten zu Fuß erreichbar. Klingt super. Aber Freiraum für alternative Ideen geht mit solch einer Hafencity leider verloren. "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern." schrieb Rosa Luxemburg. Äußern dürfen sich die Leute vom Herbstfest - ob sie auch gehört werden, steht leider auf einem anderen Blatt.

Bevor wir aber am Sonnabend auf dem Herbstfest erahnen durften, welch tolle Party da in der Nacht gefeiert wird, war ich am Donnerstag mit der ersten Tochter beim Ballett und danach zur Schulanmeldung. Die wird hier mit einem blauen Brief verschickt (wir dachten früher immer, damit kommt der Schulverweis...). Zwei Tage stehen zur Verfügung, an denen wir uns an einer der staatlichen Schulen anzumelden haben und kommt man dem nicht nach, wird es Konsequenzen haben, denn dann verstößt man gegen geltendes Recht.

Das ist auch so ein Thema für sich. In der heutigen Gesellschaft kann ich die Schulpflicht, verstanden als eine Schulanwesenheitspflicht, nicht mehr als Errungenschaft betrachten, sondern empfinde es als eine drastische Einschränkung. Schauen wir in die europäischen Nachbarländer, dann wird Schulpflicht seit dem letzten Jahr durch eine sehr konservative Regierung nur noch in Schweden so heftig aufgefasst, wie es bei uns in Deutschland der Fall ist. Diese beiden Länder, Deutschland und Schweden, bilden die Ausnahme. In den meisten anderen gibt es eine Bildungspflicht - wo und wie dieser nachgekommen wird, liegt in der Verantwortung der Eltern.

Auch andere große Demokratien kommen ohne so strenge Reglementierungen aus. Und weder die USA noch Kanada werden von Extremisten regiert oder sind Länder mit Bildungsnotstand. Es geht mir nicht darum, die Schulen abzuschaffen, sondern als Lehrer eine optimale Entwicklung der Kinder sicher zu stellen. Dabei sind Monosysteme eine denkbar ungeeignete Wahl. So vielfältig, wie das Leben selbst, wie unsere Kinder es sind, sollten auch die Bildungsangebote in einem freiheitlichen Staat sein. Und dieser hat meiner Meinung nach dafür zu sorgen, dass diese ermöglicht werden.

Die Schule, an der wir die erste Tochter angemeldet haben, ist eine mit einem sehr guten Ruf. Ich denke, wirkliche Bildungsfreiheit kann ein Mensch nur dann erreichen, wenn er eigenverantwortlich über seine Bildungsbiographie entscheiden kann. Daher respektiere ich den Wunsch der ersten Tochter, zur Schule gehen zu wollen. Doch als wir nun in dieser sehr empfehlenswerten Schule zur Anmeldung waren und ich tatsächlich auch von der Aufmachung und dem ersten Eindruck und den Lehrerinnen dort angetan war, stand für die Tochter nach der Anmeldung sehr schnell fest: "In diese Schule gehe ich nicht. Ich will in die Schule gehen, aber nicht in diese."

Tja, da hatte ich es nun. Von all den anderen Schulen, die wir zusammen besucht haben, war sie immer begeistert - und die waren alle grüner, als diese hier. Vielleicht liegt es daran? Bei denen sind die Pausenhöfe nicht betoniert und sehen eher wie große Abenteuerspielplätze aus. Wir sind dann den möglichen zukünftigen Schulweg nach Hause an der Elbe entlang gegangen. Es fing an zu regnen und der stürmische Wind trieb dunkle, wilde Wolken über den Himmel. Es war aber nicht kalt und die Stimmung war eine ganz besondere. Dies empfand auch die Tochter.

Und so ließen wir uns Zeit, schlenderten durch die Gärten und entdeckten neue versteckte Pfade, während wir vom Regen durchnässt wurden. Als wir zu Hause ankamen, erwartete uns schon die Frau mit der zweiten Tochter. Dann gab es Fußbäder, warme Decken und heißen Tee. Wir machten Kerzen an und hatten es sehr gemütlich, während wir dem Sturm beim Rütteln und Schütteln der Bäume zu. Ich liebe es, es sich in der rauen Jahreszeit gemütlich zu machen. Am Freitag hatten wir dann herrliche Kastanien zu finden.

Die zweite Tochter bemerkte erstaunt am Freitag, als wir das Kindergartenkind aus dem Wald abholten, dass es ja bei uns vor dem Haus "da eine Elbe" gibt und unterwegs gab es "da noch eine Elbe" und kurz vor dem Kindergarten gab es immer "noch eine Elbe". Die Sprachentwicklung der Zweijährigen ist für mich unheimlich erstaunlich. Im Wald gab es viele Pilze und auch im Kindergarten wurden etliche gesammelt. Wir fanden beim Nachsammeln leider keine leckeren. Als ich es mir mit Zwieback und heißem Tee im Kindergarten auf einem Baumstamm bequem gemacht hatte, kam die erste Tochter mit ihrem Zwieback in der Hand an, präsentierte mir etwas Blut im Mund und verkündete stolz: "Ich hab jetzt einen Wackelzahn."

Ach, sie werden ja so schnell so groß, die lieben Kleinen. Genießen wir die Zeit, die uns mit ihnen geschenkt wurde.

Herzlich
euer Herr Gaigals

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Kommentare von Lesern:

 
Yvonne, Berlin:
13.10.2012 23:28
Tolles Tagebuch, interessante Standpunkte! Hast du dich schonmal nach Schulen mit anderem pädagogischen Konzept erkundigt?
Gerd, Norddeutschland:
11.10.2012 20:24
Hallo und erstmal vielen Dank für Deinen interessanten Blog,

muss meinen Senf auch dazu geben.

Erstens: Wenn Du Deine Frau als „die Frau“ bezeichnest, habe ich damit kein Problem. Im Englischen spricht man regelmäßig von „the wife“ und das ist nicht despektierlich.

Zweitens: Wackelzähne – haben wir auch gerade einige hinter uns, also meine Tochter. Und ja, die sind irgendwie ziemlich eklig, mir wird da auch ganz schwummerig. Am besten ist es, wenn die Kinder sich etwas aus Versehen gegen den Wackelzahn hauen – das blutet wie Sau! Also viel Spaß damit noch ;-)

Drittens: Schulzwang und Bildungszwang. Ich bin da hin- und hergerissen. Meine Tochter ist auch so eine, die den Stoff in der Schule in der Hälfte der Zeit lernen könnte. Und die sich entsprechend in der normalen Schule teilweise langweilt. Da fände ich es manchmal schon besser, wenn man sie einfach zu Hause unterrichten könnte, wie ich es auch aus den USA kenne. Aber: vielleicht ist es ja auch gerade das, was Kinder brauchen. Nämlich zu erkennen, dass man auch manchmal Dinge tun muss, die eben nicht nur Spaß machen?
Und ganz so toll ist das mit dem Home-schooling in den USA auch nicht. Nach meiner Erfahrung sind es gerade oft die radikalen Christen, die das nutzen, um so ihre Kinder von der bösen, bösen Außenwelt abzuhalten. Und wollen wir das?

Viertens: Schulwahl. Es ist in der Grundschule vollkommen wurscht, welche man wählt. Denn in den ersten Jahren ist meist nur entscheidend, wie die jeweiligen Lehrer sind. Da kann die vermeintlich beste Schule die schlechtesten haben und umgekehrt. Das ist einfach ein Glücksspiel.
Klingone, Northeim:
11.10.2012 10:59
Zu den Spielplätzen: Da gibt es inzwischen viele Pädagogen, die meinen, Spielplätze seien nicht sehr sinnvoll. So liege die Verweildauer auf einem typischen Spielgerät wie Wippe unter 2 Minuten. Besser seien Flächen, die von den Kindern selbst gestaltet werden können, Brachen, Baugrundstücke, mit Erdhügel, Ecken zum Verstecken etc. Auf der anderen Seite gibt es Konzepte wie "die bespielbare Stadt", die Kindern in den Innenstädten Teilhabe ermöglichen wollen mit vielseitig nutzbaren Geräten wie Bänken, die Kinder zum Turnen und Rentner zum Sitzen und Quatschen nutzen können. Allerdings ist noch nicht bekannt, was da wie tatsächlich genutzt wird.
Gast, bei Freiburg:
11.10.2012 10:17
da muss ich Volker Recht geben.
Ich finde auch die immer wieder von Herrn Gaigals benutzte Bezeichnung
"die Frau" für seine eigene Frau sehr vielsagend...
Volker - Kassel:
09.10.2012 09:15
meiner erinnerung nach haben so ziemlich alle parteien die freiheit statt angst-aktionen im september unterstützt. hört sich ja auch gut an und die forderungen sind so vage dass wirklich alle mitmachen können...

noch mal ne frage zu euerm familienleben. irgendwie kommt partnerschaft da bisher gar nicht vor oder achtest du hier nur deine privatsphäre (freiheit ;-) )

Tagebuch Herr Gaigals

Herr Gaigals
Alter: 36
Wohnort: bei Dresden
Beruf: Krankenpfleger und zukünftig Lehrer
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: 2 Töchter, 5 und 2 Jahre
Letzter Eintrag: 30.09.2013

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