väterzeit.de - Vater sein, Mann bleiben

20.06.2011 19. Woche
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„Müssen wir dann Hunger leiden?“

Joshs Wutanfall, Chip, der Lebensretter; Vatertagsgeschenke; mit Händen und Füßen; Finn, Freundschaften und Fortschritte
Es ist Samstagnachmittag und ich habe mich gerade von der Theke des Café Boheme in Soho losgerissen, um meinen Pflichten nachzugehen, denn ich habe Unmengen von Motorrad-Artikeln auf dem Schreibtisch liegen, die ich übersetzen muss. Leider sind es so viele, dass die Sache wie ein bedrohlicher Berg wirkt. Ich würde viel lieber mit den Jungs in den Park oder ins Café gehen, wenn da nicht die Deadline wäre.

Ich weiß nicht, ob ich in diesem Tagebuch nicht nur Werbung für meine Familie und mich machen darf, sondern auch für meine Artikel, aber ich nehme einfach mal an das das geht. Letzte Woche ist nämlich eine Geschichte von mir zum Thema Münchhausen by Internet in der taz erschienen. Hier ist der Link: http://www.taz.de/1/netz/netzkultur/artikel/1/virtuelle-luegenbarone/

Letzte Woche hatte ich ja von Josh und seinen Teenagerallüren berichtet. Ich wollte eigentlich mit ihm reden, kam aber nicht dazu. Ehrlich gesagt hätte ich auch nicht gewusst, wie ich die Sache anpacken sollte. Am Mittwoch dann hatte Josh beim Frühstück wieder ein kleines Tief. Er war plötzlich unheimlich wütend und sagte er wolle nicht mehr in dieser Familie leben, weil ihn niemand mag.

Ich muss gestehen, ich war etwas überfahren, denn morgens ist für tiefgehende Gespräch einfach keine Zeit. Also tat ich kurzerhand, was man in solchen Fällen mit Kleinkindern tut und drückte Josh etwas zum Ablenken in die Hand. In diesem Fall war es unser Hase Chip, der sich mal wieder als Lebensretter erwies. Chips Charme können die Jungs nur selten widerstehen und so war der Trübsinn schnell verschwunden. Vergessen war er aber sicher nicht und ich warte jetzt auf den Tag an dem Sache wieder auftauchen wird.

Nachdem es jetzt auch mir passiert ist, habe ich einen Grund mit Josh zu reden. Aber warten wir’s erstmal ab: Solange es nicht öfter passiert bin ich nicht unbedingt der Meinung, dass man der Sache nachgehen muss. Manchmal geht es bei uns nämlich auch stressig zu, wie das bei Freelancern eben so üblich ist. Deadlines drücken oder meine Kunden zahlen nicht pünktlich und dann ist in der Haushaltskasse Ebbe und das macht sich auch für den Nachwuchs bemerkbar, wenn wir plötzlich nicht ins Kino gehen können. Josh verfolgt solche Ereignisse genau, denn er fragte mich letzte Woche, ob wir genug Geld hätten, um essen zu kaufen er wolle ja nicht Hunger leiden. Ihr seht in dem Kopf des Jungen ist einiges los.

Inzwischen ist es Sonntagabend 19.30 Uhr und ich sitze wieder im Büro. Ich habe erst um 14 Uhr angefangen, denn heute ist hier Vatertag und meine Jungs hatten mich um 8 Uhr mit Karten und Süßigkeiten geweckt, also wollte ich noch ein bisschen Zuhause bleiben. Sue war heute morgen sehr müde und die Jungs haben die Angewohnheit immer besonders nervig zu sein, wenn man müde oder abgespannt ist – kennt ihr das? Wie ist so etwas möglich? Riechen die das? Sue besuchte heute eine Freundin und ihre Kids, aber es dauerte ewig bis Finn und Josh schließlich angezogen waren, so dass Sue aus dem Haus gehen konnte. Ich kann nur hoffen, dass die Bahnfahrt mit den Rabauken entspannter war.

Letzte Woche hatten wir übrigens Besuch von einem deutschen Jungen. Max heißt der Kleine und er ist der Sohn einer Freundin meines Freundes Floyd aus der Nachbarschaft (der mit der Autowerkstatt – den hatte ich schon erwähnt, oder?). Max ist in den Pfingstferien bei Floyd zu Besuch, und hatte mich schon einige Male gefragt ob er nicht zu uns kommen dürfte. Vermutlich war ihm langweilig also willigte ich ein. Eigentlich sollte er am Dienstag kommen, aber es wurde schließlich Mittwoch bis er auf der Matte stand.

Max ist sehr wohlerzogen, spricht aber nur wenig English und meine Kinder nur wenig Deutsch. Trotzdem verständigten sich die Kleinen ganz hervorragend mit Händen und Füßen. Finn führte Max durchs Haus und zeigte ihm ganz stolz seine Spielsachen. Max hörte sich alles geduldig an und ich war froh, denn Finn kommt nicht immer gut mit anderen Kindern aus. Leider durfte Max nicht sehr lange bleiben dafür kam er aber einige Tage später noch einmal. Er war ganz angetan von den beiden Modellbausätzen auf denen sich im Zimmer meiner Kinder der Staub sammelt.

Obwohl ich als Kind viel gebastelt habe ist der Bastelvirus nie auf meine Kinder übergesprungen. Wir haben es einige Male versucht, aber es macht ihnen keinen Spaß. Wobei ich dazu sagen muss, dass es vielleicht auch an Finns Asperger liegt, denn Basteln fällt ihm schwer, weil er dazu zu nervös ist. Josh würde es vielleicht machen, aber so lange die beiden keine eigenen Zimmer haben, stört ihn Finn dauernd und dann wird aus der Bastelei nichts.

Am Montag gingen Finn und Josh nach der Schule zu ihrem Freund Lisandr was mir sehr gelegen kam, denn ich konnte die drei Stunden ohne Kids gut gebrauchen. Ich saß zwar im Café, arbeitete aber (wenn nicht gerade jemand zum Quatschen reinkam).

Dienstag kam Sam zu Besuch, am Mittwoch ging Josh nach der Schule zum Fußballclub und am Samstag kam Sam schon wieder, weil wir seinen Eltern versprochen hatten, dass er den Tag bei uns verbringen könnte, denn sie wollten etwas unternehmen. Falls ihr euch übrigens wundert, dass Finn und Josh so viel Besuch bekommen, bzw. zu anderen Kindern gehen, das ist kein Zufall, denn dahinter steckt eine Absicht.

Finn hat es mit dem Freundschaften knüpfen etwas schwer, und insofern bemühen sich Sue und ich nach Kräften Kids einzuladen, oder ihn und Josh gemeinsam zu anderen Kindern zu schicken. Oft sind das eigentlich Joshs Freunde, aber die Eltern wissen alle, dass Finn autistisch ist und sind damit einverstanden, dass er mitkommt. Selbstständig Freundschaften aufzubauen ist für Finn noch kaum möglich und niemand kann sagen, ob er jemals dazu in der Lage sein wird. Bei diesem Thema habe ich sofort einen Kloß im Hals, denn Josh wird eines Tages eigene Wege gehen und ich habe Angst davor, dass Finn als Erwachsener einsam sein wird. Natürlich können Sue und ich uns weiter um ihn kümmern, aber wir werden nicht ewig leben. Und was soll dann aus ihm werden? Ich kann nur hoffen, dass Josh sich seiner annimmt.

Ich will den Väterblog diese Woche aber nicht so traurig beschließen. Es gibt in Sachen Finn nämlich auch erfreuliche Fortschritte zu berichten. Am Donnerstag letzter Woche erzählte er beim Abendbrot plötzlich ganz unvermittelt von Charles Darwin. Der hätte ja auf den Galapagosinseln geforscht und sei ein ganz berühmter Naturwissenschaftler, meinte Finn. Sue und ich waren sprachlos, denn früher hat er nie etwas vom Unterricht erzählt und da er ziemliche Schwierigkeiten mit den Hausaufgaben hatte mussten wir annehmen, dass er nicht allzu viel mitbekam. Wie es scheint ändert sich das schrittchenweise. Und ich schreite jetzt dem Ende entgegen, denn mir fällt gerade nichts mehr ein.

Bis die Tage. Ich wünsche eine frohe Woche.

Frank
ChipBild: Chip

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Tagebuch Frank H. Diebel

Frank H. Diebel
Alter: 44 Jahre
Wohnort: London
Beruf: Journalist
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: Finn: 23.10.00; Josh: 2.9.02
Letzter Eintrag: 19.12.2011

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