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27.02.2011 6. Woche
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Generve, Getöse und Grabgewölbe

Ferien! Hochgenuß für Kids, Spießrutenlauf für Eltern? – Qualmen oder nicht Qualmen? – das gigantische Wii-Turnier – Gedächtnisschwund – sleep-over = schlaf-über – Miezenallergie – uff, wieder eine Woche Ferien überlebt!
Ferien! Hochgenuß für Kids, Spießrutenlauf für geplagte Eltern? Nun, ganz so schlimm ist es dann doch nicht. Letzte Woche waren in England Ferien (hatte ich ja schon erwähnt). Meine Frau, Kunstlehrerin, hatte auch Ferien (hatte ich auch schon erwähnt). Ich habe als selbstständiger Journalist eigentlich nie Urlaub (hatte ich auch schon erwähnt, kann aber nicht oft genug gesagt werden). Wie immer galt es, ein Dutzend Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten. Wegen seines Autismus braucht Finn einen geregelten Tagesablauf – noch mehr als nicht-autistische Kids. Finn wird schnell nervös, wenn wir nicht schon beim Frühstück einen Tagesplan mit ihm aushecken. Der Programmablauf wird auf einem Blatt Papier festgehalten und an unserer Küchenpinnwand aufgehängt. Sonst fragt er uns im Laufe des Tages Löcher in den Bauch. Besser noch: Einige Höhepunkte für die nächsten Tage einplanen, damit Finn sich beruhigt auf die Woche freuen kann.


Montag

Letzten Sonntag stand bereits fest, dass meine Frau den ersten Ferientag mit den Jungs bei unseren Freunden Jess und Richard verbringen würde. Jess und Richard haben drei Kinder von denen Milo, der älteste, in Finns Klasse geht. Gegenseitige Besuche laufen unweigerlich auf einen Wii-Marathon hinaus. Die Jungs müssen sich ja unbedingt gegenseitig ihre aktuellsten Spiele vorführen. Finn und Josh fieberten also dem Montag entgegen. Ich wollte arbeiten und hatte mir schon einiges für den Nachmittag zurechtgelegt, denn wenn Sue und die Kleinen nicht Zuhause sind, ist es bei uns schön still. Eine willkommene Gelegenheit, die Nachbarn zur Abwechslung nicht mit Kindergeschrei, sondern mit Beethoven zu nerven.

Der Videospielmarathon währte auch diesmal bis in die frühen Abendstunden. Weil ich allerdings brav meine Arbeit erledigt hatte, konnte ich Sue helfen, die Jungs ins Bett zu bringen. Spätestens um 21 Uhr sollten die Rangen selig schlummern – Schlafenszeit: ein weiteres spannendes Thema über das man lange diskutieren könnte; meine Kids liegen meist um 20 Uhr im Bett und sollen um 20.30 Uhr schlafen, was aber nicht immer hinhaut; wann muss Euer Nachwuchs in die Federn? – denn montags läuft um 21 Uhr auf BB2 „Episodes“, eine neue Comedyserie mit Matt Le Blanc (Ihr wisst schon, Joey von „Friends“).

Alles klappte wie am Schnürchen und so saß ich um 21 Uhr mit einer Tasse Kaffee und einer Zigarette vor dem TV-Gerät. Rauchen – ein weiteres heiß diskutiertes Elternthema. In meiner Jugend quarzte jeder pausenlos. Natürlich machte niemand wegen der Kids seine Kippe aus. Heute ist das Qualmen überall verboten. Viele Raucher werden sogar im Eigenheim auf die Terrasse verbannt. Ich bin leider in dieser Hinsicht vom alten Schlag und nehme mir das Recht heraus, im Wohnzimmer zu paffen. Natürlich nur, wenn die Jungs im Bett sind. Und bevor Ihr jetzt fragt was meine Frau dazu sagt – die pafft mit! Toll ist das nicht, und ich gebe zu, dass ich ein schlechtes Gewissen habe. Aber wie war das noch: Was Fränkchen nicht lernt, lernt Frank nimmermehr.


Dienstag

Sue hatte an diesem Tag einige Termine, also sollte ich die Jungs hüten. Dienstags findet um 18 Uhr ja unser wöchentlicher Filmclub statt. Die Pizza lag schon griffbereit im Kühlschrank. Trotzdem tat sich vor mir ein schier unüberwindlicher Graben auf: Was sollten wir den lieben, langen Tag machen? Die Rettung nahte in Form meines Freundes Olli, der ein Treffen in unserem Lieblingscafé Amandine vorschlug. Uff, Dienstag gerettet! Natürlich bewaffneten wir uns mit Nintendo DSi-Geräten, sonst hätten wir es keine zehn Minuten mit drei Jungs im Café ausgehalten. Und die anderen Gäste schon gar nicht ...


Mittwoch

Absoluter Höhepunkt der Ferienwoche: Joshs Kumpel Cameron hatte zum großen Wii-Turnier geladen. Und wie es sich für Profis gehört sollte der Wettkampf Äonen dauern. Sagenhaft! Um die Mittagszeit setzte ich die Kids ab und Camerons Mutter meinte, ich sollte die Kleinen nicht vor 20 Uhr abholen. 20 Uhr? Im ersten Moment verschlug es mir den Atem. Acht Stunden zur freien Verfügung? Aber die Briten kennen hierzu ein Sprichwort: „Time flies when you’re having fun!“ Kaum hatte ich mich am Schreibtisch niedergelassen und ein Räucherstäbchen angezündet war es auch schon 20 Uhr. Mist!


Donnerstag

Bei aller Liebe – ich konnte mich nicht erinnern, womit wir uns am Donnerstag die Zeit vertrieben hatten. Alter, Gedächtnisschwund – man kennt das. Das Grufti-Dasein eben. Meine Frau wusste es im übrigen auch nicht mehr!


Freitag

Auf diesen Tag freute ich mich ganz besonders, denn im Laufe der Woche hatte sich bei mir ein gigantischer Berg Arbeit angestaut, der unbedingt abgetragen werden wollte. Da kam der Vorschlag meiner Frau, sich mit ihrer Freundin Nicky nebst Sohn Tristan im Londoner Wissenschaftsmuseum zu treffen und anschließend Pizza Hut zu belagern, wie gerufen. Wenn mir jemand vor 20 Jahren prophezeit hätte, ich würde mich einmal darauf freuen, ungestört arbeiten zu können, hätte ich ihn für meschugge gehalten. Sue und die Kids verließen unser trautes Heim um 11 Uhr und kehrten erst um 20 Uhr zurück – „bliss“, wie die Briten sagen. Merkwürdig ist allerdings, dass mir nach einigen Stunden himmlischer Ruhe oft langweilig wird. Weil ich meine Rasselbande und ihr Getöse vermisse. Bescheuert, oder? Wie Mann’s macht, macht Mann’s verkehrt! Also freute ich mich sehnsüchtig auf den Moment als Finn ungeduldig „Dad!“ durch den Briefkastenschlitz kreischte.


Samstag

Selbstredend: Samstag kommt das Sams (Augsburger Puppenkiste 1977; danke Google, ich hätte das nicht mehr gewusst). Außerdem hatte ich immer noch viel zu tun. Josh hatte sich für einen „sleep-over“ (eine Übernachtung) bei Sam angemeldet. Olli wollte ihn um 15 Uhr abholen. Meine Frau packte seinen Rucksack, und ich verabreichte ihm eine Tablette gegen Katzenallergie. Sam hat zwei possierliche Miezen und Josh niest sich die Lunge aus dem Leib, wenn er die herzigen Tierchen nur von weitem sieht. Es soll aber niemand sagen, wir hätten uns von einer Katzenallergie den „schlaf-über“ verderben lassen!

Meine Frau wollte Malutensilien einkaufen und überredete Finn mittels eines Bestechungsgeschenks (ein Besuch bei McDonald’s, da gehen wir sonst nie hin), sie zu begleiten. Alles lief wie am Schnürchen. Nur am Abend war ich so kaputt, dass ich unseren dänischen Lieblingskrimi „The Killing“ verpasste, weil ich bereits um 22 Uhr mein müdes Haupt aufs Kissen betten musste.


Sonntag

Morgens packten wir einige Bilder meiner Frau in unseren Kombi, denn sie nahm an einer Ausstellung in der Gruft der malerischen Londoner St. Pancras Kirche teil. Etwas mulmig wurde uns schon beim Hinabsteigen in das Grabgewölbe. Ich fragte mich sofort, wie sehr mir wohl die Muffe gehen würde, wenn ich hier alleine übernachten müsste, aber für eine Ausstellung waren die feuchten Räumlichkeiten wie geschaffen. Außerdem schien die Sonne was in UK selten ist. Alle waren guter Dinge außer Finn, dem es am Samstag bei Pizza Hut so gut gefallen hatte, dass er am Sonntag gleich wieder hingehen wollte.

Uff, wieder eine Woche Ferien überlebt. Aber Ostern kommt bestimmt! Gerade spazierte Finn in die Küche, nahm sich fünf Pfund aus meinem Portemonnaie und meinte trocken: „Taschengeld für nächste Woche im voraus!“

Bis dahin,

Frank

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Kommentare von Lesern:

 
Frank, London:
02.03.2011 17:18
Eine Nacht in der Gruft? Ich weiß nicht, mal sehen....Finn weiß natürlich, dass er nicht einfach Geld aus meinem Portemonnaie nehmen darf, aber er hat so seine eigene Art von Humor. Dazu gehört zum Beispiel, dass er Geld aus meinem Portemonnaie nimmt und kichernd darauf wartet, dass ich reagiere.
Klingone, Northeim:
02.03.2011 09:28
So ne Nacht in der Gruft mit den Jungs wäre doch ein tolles Vater-Sohn-Abenteuer... und ein großartiger weiterer Tagebucheintrag! Aber einfach Geld aus Papa Portemonnaie zu nehmen - das geht gar nicht! Das ist schlichtweg respektlos. Und das muss man ihm auch klar machen. Wie das geht - ja, genau deshalb surfe ich auf väterzeit...
Frank, London:
01.03.2011 12:08
Hm ja, meine Kinder verbringen tatsächlich zu viel Zeit vor Bildschirmen. Zu meiner Verteidigung kann ich dazu nur sagen, dass ich oft arbeiten muss, wenn ich mit ihnen allein bin. Aufgrund von Finns Autismus kann ich sie aber nur alleine lassen, wenn Finn Videospielen darf, sonst kriegen sie sich sofort in die Haare. Der Grund: Finns soziale Fähigkeiten sind zum Teil halt doch sehr eingeschränkt und man kann ihn nicht ohne weiteres mit anderen Kindern alleine lassen (auch mit seinem eigenen Bruder nicht). Er kann sich auch nicht gut selbst beschäftigen – außer mit Videospielen, die liebt er nämlich üiber alles.
Meike, Kassel:
01.03.2011 09:17
Also, als ich klein war, gab es tatsächlich viele Erwachsene, die in Gegenwart von Kindern geraucht haben . Und viele von diesen Kindern kenne ich heute noch und die haben nie angefangen zu rauchen, weil die den Geruch immer ganz schrecklich fanden. Natürlich sehe ich auch häufig in der Stadt ganze Familien, die sich eine Packung teilen. Aber ich finde, dass die Kinder nicht zwangsläufig Raucher werden, wenn es die Eltern sind. Rücksicht sollte man natürlich trotzdem auf die Kinder nehmen. Ich finde o.k., wenn ihr raucht und eure Kinder sind schon im Bett.
Andreas, Köln:
28.02.2011 11:57
Donnerstag? Wahrscheinlich noch mehr wii - oder Ds oder TV .... würde ja passen....

Ich finden den Konsum enorm und bin sehr froh, dass unsere drei Jungs (12,14 und 16) nur ein Minimum ihrere freien Zeit vor Konsolen oder TV verbringen.....

Tagebuch Frank H. Diebel

Frank H. Diebel
Alter: 44 Jahre
Wohnort: London
Beruf: Journalist
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: Finn: 23.10.00; Josh: 2.9.02
Letzter Eintrag: 19.12.2011

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