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31.07.2011 24. Woche
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Wer wird für Finn sorgen?

Die erste Woche ist rum; Finn schickt SMS; Schichtdienst; Amy Winehouse' Lieblingskneipe; wer nicht mit der Masse schwimmt wird ausgegrenzt.
Uff, die erste Ferienwoche haben wir hinter uns. Heute (Sonntag) sind Sue, Finn und Josh zu ihren Großeltern nach Birmingham gefahren, und ich bin Strohwitwer. Nun ist es aber nicht so, dass ich eine Party nach der anderen feiern würde, wenn ich alleine bin. Ganz im Gegenteil. Ich komme dann endlich mal zu den Dingen, die sonst liegenbleiben. Zum Beispiel E-Mails beantworten, Fenster putzen (die ziemlich schmutzig waren) und aufräumen. Eigentlich wollte ich auch meine Autos waschen, aber ich weiß gar nicht ob ich das noch schaffe, denn am Dienstag kommt die Bagage schon wieder.

Finn schickt mir öfter SMS und so bin ich stets auf dem neuesten Stand was die Racker so treiben. Heute morgen waren sie zum Beispiel im Schwimmbad. Der Wettergott (oder die -göttin?) scheint tatsächlich diese Kolumne zu lesen, denn letzte Woche habe ich mich über den Sommer, der ein Winter war beschwert, und seit einigen Tagen hatten wir in England Kaiserwetter. Mir ist das im Grunde wurscht, denn ich arbeite sowieso meistens und setzte mich höchsten mal zehn Minuten in den Garten. Außerdem mag ich den Regen ja gerne, aber ich wiederhole mich …

Die erste Ferienwoche war wie üblich ziemlich stressig. Ich versuchte so oft wie möglich ins Büro zu gehen, denn meine nächste Deadline ist Mitte August (Jaguar Magazin) und es ist besser dafür zu sorgen, dass sich die Arbeit nicht staut. Finn kämpft derzeit ein bisschen mit Veränderungen. Sich umzustellen ist nicht leicht für ihn. Während Josh fast mühelos von der Schul- auf die Ferienzeit wechselt braucht Finn eine Weile. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass er momentan nicht vor 22.30 Uhr einschläft. Manchmal sogar noch später. In den Tagen bevor Sue und die Kids zu den Großeltern fuhren, war es sogar Mitternacht, denn da kam noch die Aufregung über die bevorstehende Reise dazu. Da konnte er sich abends gar nicht beruhigen, und ich lag oft lange bei ihm auf dem Bett, damit er überhaupt einschlafen konnte. Natürlich ist er morgens müde und wacht oft erst um 10 Uhr oder später auf, während der Kleine schon um 8 Uhr aus dem Bett springt. Sue berichtete auch, dass Finn in den Tagen vor der Abreise „autistischer“ gewesen sei. Ich muss allerdings dazu sagen, dass sich sein Biorhythmus nicht sehr von meinem unterscheidet, denn auch ich bin ein Nachtmensch. Ich kann leicht eine Nacht durcharbeiten und dann den ganzen Tag schlafen.

Zum Glück hat Sue momentan auch Ferien, so dass sich das alles managen lässt. In den ersten Tagen ging Sue einige Male in den Park mit Jungs für Picknicks mit Freunden. Wir hatten eine Art Schichtdienst ausgearbeitet. Morgens kümmerte ich mich um die Jungs (weil ich morgens sowieso meistens wenig arbeite) und nach dem Mittagessen war Sue dran, und ich fuhr ins Büro und arbeitete bis spät abends. Das ist zwar anstrengend, aber anders geht es eben nicht.

Am Mittwoch hatte ich übrigens einen sehr interessanten Termin: Ich sollte für stern.de Amy Winehouse’ Lieblingskneipe einen Besuch abstatten und darüber schreiben. Da ich schon einmal über die Soul-Röhre geschrieben hatte und ihre Musik mag, war das mal eine sehr schöne Sache. Wider Erwarten war die Kneipe voller netter Leute – ich hatte eigentlich gedacht, dass sie dort alle ein bisschen arrogant seien, aber dem war nicht so. Die Musik und der Kaffee waren auch gut – was will man mehr? Der Barkeeper erzählte, dass Amy ein nettes Mädchen gewesen sei, nicht die Schreckschraube als die sie in der Presse verschrien ist. Das gefiel mir gut und kam natürlich in meine Geschichte.

In letzter Zeit denke ich auch wieder sehr viel über Finns Zukunft nach. Der Anlass war ein Kommentar von Birgitt aus Österreich, die schrieb, dass ihre Tochter Katharina (ebenfalls ein Asperger-Kind) keine Regelschule besuchen kann. Das ist natürlich sehr schade, aber ich fragte mich was eigentlich aus Finn werden soll, nachdem er die Schule verlassen hat. Natürlich hat er dann einen Abschluss, aber was heißt das schon. Es ist absolut nicht absehbar, ob er in der Lage sein wird zu studieren oder ob er jemals einen Beruf ergreifen kann. Vielleicht sehe ich das zu kritisch, aber ich frage mich oft, warum Menschen mit Lern- oder Verhaltensschwierigkeiten immer noch ausgegrenzt werden (ich bringe es einfach nicht übers Herz Behinderungen zu sagen). Wenn man Leute direkt auf den Kopf zu fragt, dann würde jeder sagen, dass er mit einem autistischen Menschen keine Probleme hat eher im Gegenteil. Aber welcher Chef stellt einen autistischen Mitarbeiter ein? Mir sind jedenfalls in der Arbeitswelt noch keine autistischen Menschen begegnet. Am Ende werden sie doch alle in Heime abgeschoben – oder bin ich zu verbittert?

Im übrigen war ich während meiner Schulzeit auch verhaltensauffällig. Nur kam damals niemand auf die Idee, dass das etwas mit Asperger zu tun haben könnte. Die Lehrer standen dem völlig hilflos gegenüber. Die einzige Ratschlag war, dass ich eine Klasse hätte zurückgehen sollen, was vielleicht gar nicht so schlecht gewesen wäre. Ansonsten führten meine Probleme in der Schule dazu, dass ich einen ziemlich schlechten Abi-Schnitt hatte. Meine Erfahrung mit der Gesellschaft war und ist, dass, wer nicht mit der großen Masse schwimmt, ausgegrenzt wird.

Wenn ich so sehe, wie es mit Finn läuft dann frage ich mich oft, was aus ihm werden soll, wenn Sue und ich einmal gestorben sind. Natürlich könnte man sagen es ist unser Problem, schließlich sind wir die Eltern. Ich finde es aber traurig, dass ich mir solche Fragen stellen muss. Die Gesellschaft oder der Staat werden nicht für Finn sorgen, da bin ich mir sicher – aber vielleicht sind meine Ansprüche auch zu hoch? Was meint ihr, liebe Leser?

Ansonsten wünsche ich allen eine tolle Ferienwoche und melde mich nächsten Montag wieder.

Bis dahin,

Frank



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Kommentare von Lesern:

 
nochmals Birgitt aus Österreich :
11.08.2011 20:27
ich habe zu schnell auf Senden gedrückt, hoffe bei euch ist alles in Ordnung!
Birgitt aus Österreich:
11.08.2011 20:18
Ich hoffe nach wie vor darauf, dass es sich bei meiner Tochter bessert, hochbegabt ist sie ja, was fehlt ist das Verständnis der Pädagogen derzeit. An die Zeit nach der Ausbildung will ich noch gar nicht denken!
Frank, London:
02.08.2011 13:41
Hallo,

vielen Dank für eure positiven Kommentare über die ich mich sehr gefreut habe. Vielleicht sehe ich in der Tat etwas schwarz. Es ist auch richtig dass sich Probleme mit Kindern manchmal von alleine lösen. Naja, wollen wir mal das Beste hoffen. Bis bald.
Gerd, Norddeutschland:
01.08.2011 19:13
Hallo Frank,
siehst Du nicht ein bisschen schwarz? Sooo "schlimm" scheint Finn doch gar nicht zu sein, oder? Immerhin besucht er eine normale Schule und kommt doch da mit. Warum sollte das später nicht weiter funktionieren.

Wenn ich eines von meinen Kindern gelernt habe: es bringt wenig, sich über bestimmte Probleme den Kopf zu zerbrechen. Interessanterweise lösen sich die meisten Probleme mit der Zeit von ganz allein. Und wenn Du es im Leben geschafft hast - warum sollte Finn nicht auch seine "Nische" finden?
Johannes, Ennepetal:
01.08.2011 13:44
Hallo Frank,
ich kann Deine Sorgen bzgl. Finns Zukunft verstehen. Ein Bekannter von uns ist auch Authist, kann u.a. Gesichter nicht erkennen bzw. zuordnen u. hat auch sonst soziale Schwächen. Er liebt Logik u. hat sich alles im Bereich IT autodidaktisch beigebracht und sich weiter spezialisiert. Jetzt ist er selbständig u. finanziell unabhängig.


Ihr müsst also nur noch die Talente finden, die er hat... Wird bestimmt schon.

Und, wenn es ganz blöd kommt, warum sollte Papa Staat nicht für ihn sorgen? In der BRD gibt es ein Sozialgesetzbuch. Über England weiß ich leider nicht Bescheid...

Tagebuch Frank H. Diebel

Frank H. Diebel
Alter: 44 Jahre
Wohnort: London
Beruf: Journalist
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: Finn: 23.10.00; Josh: 2.9.02
Letzter Eintrag: 19.12.2011

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