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08.08.2011 25. Woche
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PIccadilly Circus

Fauler Ferientag; ein kesses Weib; Kaffee im Café Boheme; Strohwitwerzeit; Mädchen in Bikinis
Und hier ist er wieder: mein wöchentlicher Familienbericht von der Themse. Heute (Sonntag) war ein absolut fauler Ferientag. Finn und Josh kamen den halben Tag nicht aus ihren Schlafanzügen raus. Meine Frau versuchte vergeblich zu arbeiten, aber sie meinte in unserem Arbeitszimmer ginge es zu wie in Piccadilly Circus – meine Kinder kamen alle fünf Minuten rein und wollten etwas von ihr. Piccadilly Circus – ein passender Vergleich. Genau so geht es mir, wenn ich versuche Zuhause zu arbeiten. Deswegen muss ich ja dauernd ins Café flüchten. Ich lege derzeit wieder Nachtschichten ein, weil sonst arbeitstechnisch einfach nichts läuft. Außerdem ist das Wetter so launisch wie eine Hollywood-Diva aus den 30er Jahren. Sonne, Regen, Sonne, Regen – so geht es seit Tagen.

Gegen 15 Uhr hatten Finn und ich uns endlich mit Regenschirmen bewaffet aufgerafft nach draußen zu gehen, aber wir wurden gleich von einem deftigen Schauer begrüßt, und beschlossen den Rest des Tages vor dem Fernseher zu verbringen. Ja, ich weiß, dass ist ganz schlecht für die Kids, aber so ist es eben manchmal. Leider verpasste ich einen Teil der TV-Orgie, denn ich musste mich eine Weile aufs Ohr legen. Letzte Nacht war es wieder ziemlich spät geworden mit dem Arbeiten. Aber immerhin mache ich Fortschritte, denn die Deadline ist schon wieder gefährlich nahe. Dumm ist momentan auch, dass viele Familien im Urlaub sind, und Finn und Joshs Spielgefährten nicht so zur Verfügung stehen wie sonst. Urlaubszeit ist übrigens witzig, wenn man in die Stadt geht: Touristen an jeder Straßenecke. Man erkennt sie sofort an den Rucksäcken, der Regenkleidung und dem vernünftigen Schuhwerk.

Morgen wird es anders laufen, denn dann kommt Joshs Freund Lisander zu Besuch. Außerdem hat die Wettervorhersage auf meinem Handy angekündigt, dass es nicht regnen und 21 Grad warm werden soll.

Am Freitag kam Nicky mit ihren Kindern Tristan (8) und Orla (4) zu Besuch. Meine Frau kaufte schon Tage vorher Vorräte ein, unter anderem einen neuen Grill, denn bei uns fallen die Grills immer innerhalb eines Jahres Rostschäden zum Opfer (das englische Wetter). Es war also ein „Barbie“ wie die Briten das inzwischen in Anlehnung an die Australier (die aus dem Barbecue ein Barbie machten) nennen. Finn und Josh waren sehr aufgeregt, und das verschlimmerte Finns aus den Fugen geratenen Schlafrhythmus noch mehr. Momentan kommt er fast keinen Abend vor Mitternacht zur Ruhe – auch wenn ich mich mit ihm hinlege. Natürlich wacht er morgens dann oft nicht vor 10 Uhr auf.

Ich musste mich leider aus den Vorbereitungen raushalten, weil ich momentan viel am Jaguar Magazin zu tun habe. Deadline ist der 22. August und bis dahin muss noch viel Text übersetzt und redigiert werden. Außerdem war ich an diesem Freitag mit einem ehemaligen Kollegen von Haymarket um 13 Uhr im Café Boheme verabredet. Das Café befindet sich am Ende der Greek Street also in der Straße in der auch mein Büro ist.

Es war ein sonniger Tag, obwohl das nichts zu sagen hat. Auf den britischen Inseln ist es oft morgens sonnig, und am Nachmittag regnet es Sturzbäche (hatte ich das schon erwähnt?). Prit und ich nahmen draußen Platz, wo sich schon die Horden von durstigen Briten versammelt hatten, die an diesem Nachmittag sicher nicht mehr ins Büro gehen würden. Prits Eltern stammen seinem Aussehen nach zu schließen aus Pakistan oder Indien, er selbst wurde im englischen Leicester geboren. Er ist ein sehr lustiger Zeitgenosse und ein guter Designer, der schon seit vielen Jahren als Freier sein Glück versucht und damit gut zu fahren scheint. Immerhin muss er seine Familie (drei Mädchen) und das Haus in West-London über Wasser halten. Seine Frau stammt aus dem deutschen Rottweil und hat klassischen Gesang studiert. Sie wanderte vor vielen Jahren aus und arbeitet seitdem in Großbritannien als Gesangscoach für Opernsänger.

Prit und ich plauderten ein wenig über die alten Zeiten und das Los der Freien. Nach einer Stunde musste er schon wieder von dannen ziehen, denn seine Mittagspause war vorüber. Er ist zwar Freier, muss aber für seine Tätigkeit oft vor Ort sein und sich dann an den jeweiligen Büro-Gepflogenheiten orientieren.

Der Grillabend war sehr schön. Das Wetter hielt (nicht was es versprach, denn es bewölkte sich später wieder), aber wenigstens regnete es nicht. Wie zu erwarten, waren die Kids bis nach Mitternacht auf, nur die kleine Orla schlummerte gegen 23 Uhr ein. Die drei Jungs machten auch einen furchtbaren Lärm und stellten das gesamte Haus auf den Kopf. Gegen 24 Uhr verzog ich mich ins Bett, denn die Frauen fingen an über Geburten zu reden und das Thema finde ich nicht so spannend.

Ich finde es ganz köstlich, wenn wir Mädchen zu Besuch haben, denn über die Mädchenwelt weiß ich nicht so viel. Orla ist ganz schön kess für ihr Alter und lässt sich von den Jungs keinesfalls auf der Nase herumtanzen. Man merkt, dass sie gerne mit Jungs spielt, vor allem „piggy in the middle“ – zwei Kinder werfen sich einen Ball zu und einer in der Mitte muss versuchen, ihn zu fangen. Meistens war das Orla, die sich viel Mühe gab, aber weil sie eine ganze Ecke kleiner als die Jungs ist, war ihre Mühe oft vergebens. Sie lachte oft und dreckig, was ich ganz hervorragand fand. Dann schaute sie „Star Wars: Return of the Sith“ mit den Buben. Vorher hatte ich vergeblich versucht, die Jungs davon zu überzeugen, dass das wirklich kein Film für ein kleines Mädchen sei, aber meine Einwände wurden ignoriert. Außerdem versicherte mir Orla, dass sie den Film „wirklich ganz toll findet“. Nun ja, sie ist eben emanzipiert. Früh übt sich, wer eine Meisterin werden will.

Natürlich bin ich schon ganz gespannt auf die Mädchenwelt, weil ich ja eine kleine Nichte habe und nun auf ganz andere Weise mit dem Planet der Frauen konfrontiert werden werde. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass das schöne Geschlecht auf einem anderen Planeten residiert. Unter uns Betschwestern kann ich sowas doch sagen, oder?

Meine Strohwitwerzeit Anfang der Woche (die Rabauken kamen am Dienstag zurück), war übrigens sehr witzig. Sonntagabend schaffte ich es doch tatsächlich mit meinem Freund Olli in den Pub zu gehen. Während ich mich mit dem Trinken zurückhielt (das Alter, ihr versteht …) becherte Olli was das Zeug hielt und war gegen Mitternacht so platt, dass er kaum seine Haustür aufschließen konnte. Ich lachte mich schlapp. Er meinte am nächsten Tag, er hätte das einfach mal gebraucht. Das kann ich auch gut nachvollziehen, als Vater geht man einfach nicht so oft aus. Also ich zumindest nicht, vielleicht ist das bei den mitlesenden Vätern ja anders.

Obwohl meine Truppe fünf Tage weg war, bekam ich doch nicht so viel auf die Reihe, wie ich ursprünglich gedacht hatte. Manchmal ist es eben einfach schön, mit einem Buch im Café zu sitzen. Gerade lese ich Jack Kerouacs „On the Road“ – hm, was mir das wohl sagen soll? Als Eltern ist ja jede halbe Stunde kostbar, in der man nicht unbedingt etwas machen muss, was mit den Kindern, dem Haushalt oder der Maloche zu tun hat. Ihr werdet mir da sicher zustimmen. Außerdem gelang es mir, länger mit einer alten Freundin aus Deutschland zu telefonieren. Dazu komme ich auch nicht immer.

Nächste Woche werde ich einige Tage (fast) alleine sein, denn Sue fährt mit Josh nach Wales – Aberystwyth, um genau zu sein –, und besucht ihre Freundin Miranda. Finn hat sich ausbedungen, hier zu bleiben. Mal sehen was wir dann alles anstellen werden. In Aberystwyth soll es auch einen schönen Strand geben, aber Baden ist in Großbritannien momentan nur etwas für wirklich hartgesottene Naturfreaks.

Übrigens wird uns sehr bald ein heißes Gespräch ins Haus stehen: „Sag mal Papa, wieso wird mein Penis eigentlich größer, wenn ich Mädchen in Bikinis sehe?“ fragte mich Josh neulich. Oh dear! Ich werde euch auf dem Laufenden halten …

„Good night (hier ist es schon spät) and don’t let the bed bugs bite“ wie die Briten sagen.

Bye bye,

Frank

PS: Ihr habt sicher von den Ausschreitungen in Tottenham gehört. Das liegt zwar bei uns um die Ecke, aber wir haben bislang nichts davon mitbekommen, außer ständigen Polizeisirenen. An Ausschreitungen in Hackney glaube ich nicht. Aus irgendeinem Grund kam es in Hackney noch nie zu Krawallen. Keine Ahnung warum. Krawallmacher gibt es hier sicher genug.

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Kommentare von Lesern:

 
Frank, London:
13.08.2011 19:16
Danke der Nachfrage. Ja, wir sind in Ordnung, obwohl sie bei uns ziemlich randaliert haben, aber wir waren nicht direkt betroffen. Natürlich musste am Montag vor Ort sein und Fotos machen.
Gast:
11.08.2011 18:42
@ Gerd: Ach komm, man kann doch auch mit Kindern ausgehen. Wir waren letzte Woche auf zwei Open-Air-Konzerten mit unseren 2-jährigen: Kansas/Yes/Styx und Beach Boys. Und wenn ihr sie nicht mitnehmen wollt: Babysitter.
Gast:
09.08.2011 21:35
Hi Frank,

schreib Doch mal kurz ob Ihr OK seid. Hackney ist ja inzwischen auch betroffen...

Volker
Gerd, Norddeutschland:
09.08.2011 20:20
Auf Deine Frage: Ausgehen? Was ist das?

Tagebuch Frank H. Diebel

Frank H. Diebel
Alter: 44 Jahre
Wohnort: London
Beruf: Journalist
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: Finn: 23.10.00; Josh: 2.9.02
Letzter Eintrag: 19.12.2011

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