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22.08.2011 27. Woche
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Möge die Macht mit euch sein!

Merkwürdige Phrasen; unser Garten, eine Oase der Ruhe; Expeditionen ins Tierreich; Bettnässerei; I hate Sam!; heimische Fauna und Flora.
Eben wird es doch ein bisschen nippy (kühl), wie die Briten sagen. Auch eines dieser Worte, die ich seinerzeit im Deutschunterricht an der Albert-Einstein-Schule in Schwalbach nicht gelernt habe. Davon gibt es eine ganze Menge in Großbritannien. Nicht, dass ich dauernd gepennt hätte in der Penne, aber die Sprache des Alltag ist eben ein sich ständig wandelndes Kontinuum. Zum Beispiel hörte ich in meinen ersten Monaten in London bass erstaunt Worte wie: wonga – Geld, mate – Kumpel, fluffy – flauschig, hammered – betrunken, skint – pleite, stein – Bierkrug, floppy – schlapp und so weiter. Finn und Josh kommen manchmal auch mit sehr merkwürdigen Phrasen von der Schule nach Hause. Aktuell ist das „what’s up, brov?“ was soviel heißt wie „wie geht’s, Mann“?

Ich will noch ein bisschen draußen sitzen in unserem kleinen, aber feinen Garten, obwohl es an der Themse abends auch im Sommer schnell kalt wird. Trotzdem lasse ich es mir nicht nehmen eine Weile den klaren, dunkelblauen Himmel zu genießen, der krönende Abschluss eines Tages voller Aprilwetter wie es im Buche steht. Am Morgen heiße Sonnenstrahlen (wir räkelten uns im Garten), dann zog es sich blitzschnell zu und regnete „cats and dogs“, nur damit zwei Stunden später die Sonne wieder hinter den dunklen Wolken hervorlugte. Die spinnen, die britischen Wettermacher!

Gestern wagten sich Finn und Josh mit unserer Freundin Claire sowie ihrem Sohn Sam auf eine Expedition ins Tierreich, genauer gesagt die Lea Valley Farm. Ihr werdet es kaum für möglich halten, aber es gibt einige Bauernhöfe in und um London herum – mit echten Tieren. Nur einige Kilometer von uns entfernt befindet sich zum Beispiel Hackney Farm, wo wir früher öfter unsere Sonntagnachmittage verbrachten. Das englische Frühstück dort ist ausgezeichnet. Das ehemalige, etwa 100 Jahre alte Gehöft ist lebendiges Zeichen dafür, dass Hackney einmal ein sehr ländliches Fleckchen Erde war. Heute ist das kaum noch vorstellbar, zählt unser Viertel doch zu den sogenannten „Inner City“-Stadtteilen und es gibt kaum noch einen ungeteerten oder unbebauten Quadratzentimeter hier.

Lea Valley Farm war ein voller Erfolg. Josh imitierte nach seiner Rückkehr stolz ein Erdmännchen, Sam wurde von einer Ziege gebissen (aber nicht fest) und ein anderer Junge landete beim Rückwärtssalto auf dem Trampolin auf Finn (keine Verletzungen). Ein ereignisreicher Tag also. Sue muss jetzt wieder lehrern, aber am Freitag hatte sie frei und wollte in ihr Atelier zum Malen gehen. Ich verdrückte mich vorher schnell noch ein Stündchen ins Café, denn ich habe einen Dreitausender an Übersetzungen für mein Motorradmagazin (es heißt übrigens Classic Bike Mechaniker falls es jemanden interessiert) abzuarbeiten. Die Deadline ist zwar noch eine Monat entfernt, aber nur die Frühaufsteher unter den Vögeln fangen den Wurm (frei aus dem Englischen übersetzt).

Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag standen bei mir ebenfalls im Zeichen der Maloche. Und weil Sue Mittwoch und Donnerstag arbeitete, und ich wegen des Jaguar Magazins ständigen Bereitschaftsdienst am Mac hatte, hieß es für die Jungs Fernsehglotzen und still sein. Das ist eine ganz schöne Herausforderung für alle beteiligten Parteien. Still sind die Lauser nämlich nicht gerne. Es lief aber erstaunlich gut, obwohl ich einige Male im Geist von 10 auf Null zählen musste, um nicht zu explodieren. Zum Glück konnten sie am Dienstag Claire und Sam ärgern gehen, so dass sie doch nicht so viel Zeit vor der Glotze verbrachten.

Sue besuchte übrigens letzte Woche mit Finn einen Spezialisten zum Thema Bettnässen. Der arbeitete einen Plan aus nach dem Finn eine Belohnung bekommt, wenn er es schafft nicht ins Bett zu machen. Außerdem soll er jetzt unter seiner Spezialwindel eine Unterhose tragen, damit ihm die Nässe unangenehm auffällt. Ich bin ja mal gespannt, ob das etwas bringt.

Gerade kommt Finn in den Garten und ruft: „I hate Sam!“. Seine Wut und die Art und Weise, wie sie sich Luft verschafft, ist auch so ein autistisches Symptom. Finn wird oft sauer und schimpft dann wie ein Rohrspatz, was nichtsahnenden Spaziergängern und Kindern den Schreck in die Knochen fahren lässt. Angeblich zieht Sam ihn gelegentlich auf, was ich mir auch gut vorstellen kann, denn Sam ist ein Wildfang und schlägt gerne über die Stränge. Vor allem, wenn er bei uns zu Besuch ist, haut er gerne auf die Pauke, und ich muss manchmal eingreifen, damit es nicht zu Streitereien zwischen den Jungs kommt. Davon abgesehen vertragen sich die Drei aber gut, was ungewöhnlich ist, denn bei Dreien verbünden sich ja oft Zwei gegen Einen. Merkwürdig war nur, dass Sam, als Finn wutentbrannt in den Garten stürmte, gar nicht bei uns war.

Einige Minuten später kommt Finn wieder raus und beschwert sich, er hätte nicht genauso lange am Computer spielen dürfen wie Josh. Kennt ihr das? Die ewige Lamentiererei: Josh hat aber einen Kaugummi mehr gegessen (zuckerfrei natürlich), Finn hat aber länger Wii gespielt, Josh hat Chip aber länger durch die Gegend getragen. Alles muss haargenau brüderlich geteilt werden, sonst gibt’s Genöle. Nun ja, das hat auch sein Gutes, denn auf diese Weise lernen sie wenigsten teilen, auch wenn meine Frau und ich graue Haare kriegen (von denen sie allerdings schon mehr hat als ich, hehe).

Am Abendhimmel bilden sich gerade sehr malerische Wolkenformationen, und ich denke nicht nur an Mary Poppins, wenn ich die Silhouette der vielen Backsteinschornsteine sehe, sondern auch an den britischen Maler William Turner. Turner schaffte es wie kein Zweiter, die Wolkenformationen über dem Inselkönigreich in wunderschönen Ölgemälden abzubilden. Aber das nur am Rande. Unsere Kulturausflüge in diesem Vätertagebuch sind genauso lang wie unsere Museumsbesuche: extrem kurz und sehr dünn gesät.

Gerade hat Finn eine Schnecke auf den Tisch gesetzt. Viel Natur sehen unsere Kids ja nicht, aber da wir einen Garten haben, können sie sich doch ein bisschen Wissen über die heimische Flora und Fauna aneignen. Hinter unserem Haus befindet sich nämlich eine wilde Hecke an der auch Brombeeren wachsen (weswegen unsere Straße wohl auch Bushberry Road heißt, obwohl es das Wort „bushberry“ in meinem englischen Wörterbuch nicht gibt). Wir haben ja auch Füchse in der Großstadt, die sich hier sehr wohl zu fühlen scheinen. Oft sehe ich sie mitten in der Nacht auf der Suche nach Essbarem durch unsere Straße ziehen. Es ist kaum zu glauben, aber unser Garten ist eine kleine Oase des Friedens und der Ruhe (von dem Lärm, den meine Kinder machen, einmal abgesehen). Ich finde es ja faszinierend, dass es in einer Stadt mit sieben Millionen Menschen solche Oasen gibt, obwohl bei uns um die Ecke eine stark befahrene Straße liegt. London ist eben keine amerikanische Großstadt, die auf dem Reißbrett entstanden ist, sondern wuchs organisch über 2000 Jahre. Die Stadt an der Themse ist zum Beispiel komplett übersäht mit viktorianischen Häusern, die alle etwa vor hundert Jahren gebaut wurden. Eine mittelalterliche Altstadt gibt es fast gar nicht mehr, denn die fiel beim großen Feuer von London den Flammen zum Opfer. Und weil diese „organische“ Bausweise etwas chaotisch ist, gibt es eben auch viele Oasen der Ruhe.

Inzwischen ist es Sonntagabend, die Kids schlafen schon lange, und ich mache mir Gedanken darüber, wie ich den morgigen Tag überleben soll. Sue arbeitet, und ich muss noch einige Änderungen am Jaguar Magazin vornehmen und zur Bank gehen, was mit Finn und Josh im Schlepptau sicher kein Spaß wird. Eben praktizierten wir unsere übliche Zubettgeh-Routine in deren Rahmen wir auch mit den Kindern lesen. Kein Vorlesen natürlich, denn dafür sind sie schon zu alt. Stattdessen schmökerten die Buben ihre eigenen Schinken. Josh blätterte aufgeregt in seinem Star-Wars-Buch und erzählte meiner Frau mit leuchtenden Augen wie aus Anakin Skywalker Darth Vader wird: „Von Anakin war nichts mehr übrig, zwei Beine und einen Arm hatte Obi Wan Kenobi ihm mit seinem Lichtschwert abgeschlagen. Außerdem war er ganz verbrannt.“ Meine Frau gähnte gelangweilt. „Vielleicht“, warf ich ein, „solltest du Mum noch erklären, wie sie ihm dann zwei künstliche Beine sowie einen Arm angenäht und seine Atemmaske aufgesetzt haben.“ Meine Frau verabschiedete sich an diesem Punkt. „Komisch“, dachte ich, „was hat sie nur gegen Star Wars?“ Frauen eben …

Möge die Macht mit euch sein!

Frank
Bild: Nightlife at Bushberry Road

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Kommentare von Lesern:

 
Gerd, Norddeutschland:
22.08.2011 19:56
Ist ja lustig. Gerade heute war ich in Hamburg in einer (relativ schlechten) Turner-Ausstellung und meine Frau lobte, wie gut Turner Wolken malen konnte ....

Tagebuch Frank H. Diebel

Frank H. Diebel
Alter: 44 Jahre
Wohnort: London
Beruf: Journalist
Familienstand: verheiratet
Geburtstag Kind: Finn: 23.10.00; Josh: 2.9.02
Letzter Eintrag: 19.12.2011

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