28.03.2011
9. Woche
Carpe Diem
Flucht ins Café; 30.000 Deutsche in London; sonntägliche Spritztour; kein Geld für Pizza; Sangeswettstreit in der Round Chapel Church; Fußball im Park; Kinder, wie die Zeit vergeht, Nike Sportschuhe
Es ist Sonntagnachmittag, und ich bin ins Café geflüchtet, weil bei uns Zuhause die Hölle los ist. Finn, Josh und Sue sind da und die Jungs toben im Haus herum. Natürlich könnten sie auch in den Garten gehen, weil das Wetter heute gut ist, aber der Garten ist eigentlich immer nur interessant, wenn es regnet. Kinder, eben!
Also habe ich meinen Laptop in den Rucksack gepackt und bin ins Café gegangen. Nur um festzustellen, dass hier auch die Hölle los ist. Eigentlich hätte ich mir das denken können, denn heute schlagen die Bäume hier schon richtig frühlingsmäßig aus, obwohl es noch gar nicht Mai ist. Ich hatte allerdings gehofft, dass die meisten Cafégäste sich in den Garten setzen würden. Aber so warm war es dann doch nicht und der Laden ist so proppenvoll, dass auch drinnen nur noch ein Platz frei ist, den ich mir ergatterte.
Gerade sind übrigens zwei deutsche Frauen reingekommen. Mutter und Oma. London ist voller Deutscher. Angeblich sollen sich hier rund 30.000 unserer Landsleute aufhalten, obwohl ich mir das gar nicht vorstellen kann. Mein Nachbar ist im übrigen auch Deutscher. Früher, als ich noch angestellt war, kam er öfter auf ein Bier rüber, aber seit ich selbständig bin, hat das mit dem Biertrinken stark nachgelassen. Der Grund: In den letzen Monaten ist mein Arbeitsaufkommen stark gewachsen. Und da muss ich jede freie Minute nutzen, auch die Abende.
Zurück zum Tagesgeschehen. Gerade unternahmen wir eine kurze Spritztour mit dem Auto nach King’s Cross, um dort Sues Bilder abzuholen. Ihre Ausstellung ist jetzt zu Ende. Vorsorglich hatten wir die DSi in der Tasche, man weiß ja nie wie lange so etwas dauert. Zum Glück ging aber alles schneller als gedacht. Der Verkehr war unterirdisch, auch an Sonntagen geht es auf Londons Straßen massiv zur Sache, vor allem wenn die Sonne scheint. Offensichtlich fühlen sich dann alle Londoner bemüßigt, ihr Wägelchen aus der Garage zu holen (wenn sie eine haben), und eine Sonntagsfahrt zu unternehmen. Komisch, und ich dachte immer, die Sonntagsfahrt ist seit den 60er Jahren aus der Mode gekommen.
Wie dem auch sei. Für diese Woche hatten wir verschiedene soziale Events geplant. Am Montag holte meine Frau die Jungs zu Fuß von der Schule ab (morgens bringe ich sie meistens mit dem Auto hin). Oft kommt mir das sehr gelegen, wenn Sue den „school run“ am Nachmittag macht, denn dann werde ich nicht beim Arbeiten gestört. Momentan stapelt sich nämlich bei mir so einiges auf dem Schreibtisch.
Unser Filmclub am Dienstag musste leider ausfallen, da ich aufgrund von Geldmangel keine Pizza kaufen konnte. Manchmal dauert es eben länger, bis man als Freier sein Salär bekommt. Da kann es dann schon sein, dass für Grundnahrungsmittel wie Pizza keine Penunzen da sind. Glücklicherweise floss am Donnerstag der schnöde Mammon wieder und so konnten wir den Filmclub nachholen. Allerdings fehlte Josh, denn er war zum großen Schulchorsingen in der Round Chapel Church in Hackney geladen. Außer Finn und Joshs Schule St. John of Jerusalem waren noch Kids von fünf anderen Grundschulen in Hackney beim Sangeswettstreit zugegen. Meine Frau war ganz scharf auf dieses hochkulturelle Ereignis, und ich war froh, dass ich nicht gehen musste … ich war doch schon bei so vielen Aufführungen.
Neben dem Gesang, der laut Sue atemberaubend schön gewesen sein soll (aber kann man dem Urteilsvermögen von Eltern trauen, wenn ihr Nachwuchs etwas aufführt?) berichtete meine Frau außerdem, dass die ethnische Zugehörigkeit der Schüler sich je nach Schule stark unterscheidet. Unsere Penne ist ziemlich gemischt (eine Hälfte schwarze und eine Hälfte weiße Kinder), andere Schulen haben dagegen entweder überwiegend weiße oder schwarze Kids. Woran liegt das? Die Immobilienpreise unterscheiden sich in Hackney zum Teil sehr stark. In den teuren Bezirken wohnen überwiegend weiße, in den billigeren Ecken überwiegend schwarze Londoner. Die Schulen spiegeln das natürlich wider. Von Multikulti ist da leider nicht viel zu spüren.
Während sich Josh die Kehle aus dem Hals sang, spazierten Finn und ich von der Schule nach Hause. Die Sonne schien, es war beinahe frühlingshaft und im Park trafen wir auf Henry, den Fußballer, und eine ganze Bande anderer Jungs. Finn wollte unbedingt Fußball spielen, und ich setzte mich auf die Bank und las (denn ich überlasse die Kickerei gerne anderen). Alles lief prima, auch wenn meine Gefühle Achterbahn fuhren. Der Grund: Wie bereits erwähnt, fällt es Finn nicht leicht, sich in Gruppen einzufügen. Manchmal steht er am Rand und weiß nicht, wie er mitmachen soll (und ich werde sehr traurig). Dann wieder bringt er sich voller Elan ein (und es geht mir gut). An diesem Nachmittag lief es besser als erwartet und von einigen kritischen Momenten abgesehen spielte er gut mit. Anschließend gab es die Pizza, die wir eigentlich am Donnerstag hätten essen sollen.
Freitag war meine Frau zuhause und sie bot sich an, die Jungs von der Schule abzuholen, was allerdings nicht nötig war, denn sie wurden von Claire, Sams Mutti, von der Schule mitgekommen, weil sie dort zum Abendbrot und einer Gaming-Session eingeladen waren.
Und schon wieder ist eine Woche rum. Kinder, wie die Zeit vergeht. Tempus fugit – die Römer wussten schon, von was sie da sprachen. Wie schön wäre es, eine Zeitmaschine zu besitzen wie Michel J. Fox in „Zurück in die Zukunft“. Wir schauten den Streifen nämlich am Sonntag (ja, ich weiß, meine Kinder glotzen zuviel...:-)) und ich erinnerte mich wehmütig an 1985 als ich noch Nike Sportschuhe hatte, genau wie Marty McFly. So gehen sie hin die Jahre und in 20 Jahren werden meine Kinder dieses Tagebuch lesen und sich fragen, was ihr Vater für einen Unsinn geschrieben hat ...
In diesem Sinne: Carpe diem.
Bis nächste Woche,
Frank
Frank, London:
28.03.2011 18:43
Danke fürs Feeback, freut mich immer sehr, von Euch zu hören. Danke auch für den Hinweis auf den Artikel auf Spiegel Online, das hatte ich nämlich noch nicht gesehen.
Gerd, Norddeutschland:
28.03.2011 16:18
Das mit dem "Mitleiden" kenne ich auch, da meine Tochter lange Zeit sehr schüchtern war (und teilweise noch ist). Wenn sie jetzt mal irgendwo mit einem ihr unbekannten Kind spielt, dann bin ich immer total happy.
Schon gesehen? Auf Spiegel online ist ein Artikel über Studenten mit Asperger
Yvonne, Berlin:
28.03.2011 09:00
Wie immer unterhaltsam und interessant!