25.04.2011
14. Woche
Blauer Dunst
Arbeit, Arbeit, Arbeit; Schwiegereltern kommen zu Besuch; viele, bunte Ostereier; Finn und seine „ticks“; Winterurlaub in Bayern; Büroplatz in Soho; Rauchen während der Schwangerschaft
Es ist 13 Uhr am Ostersonntag und ich sitze im Café, ja sogar an Feiertagen ruht die Arbeit nicht. Aber es lässt sich nicht vermeiden, denn am 2. Mai muss das Motorradmagazin fertig sein, und ich kann es mir nicht leisten, einen ganzen Tag freizunehmen. Zum Glück sind gerade meine Schwiegereltern zu Besuch und unternehmen etwas mit Sue und den Jungs, denn ich stehe nicht wirklich zur Verfügung. Komisch, warum liegen Deadlines immer so, dass Feiertage in Mitleidenschaft gezogen werden? Oder vielleicht sind das nur meine Deadlines. Andererseits werde ich frei haben, wenn die anderen wieder im Büro schwitzen. Das hat auch etwas.
Das Wetter ist dieser Tage herrlich in London, es ist warm und die Sonne scheint, man könnte meinen es ist Hochsommer. Zum Glück kann ich auch im Café arbeiten und muss nicht den ganzen Tag Zuhause abhängen. Meine Schwiegereltern hatten natürlich jede Menge Ostereier mitgebracht, so dass die Jungs heute Morgen schon um 8 Uhr aufgeregt suchten, fanden und anschließend aßen (was sie sonst nicht dürfen, aber an Ostern machen wir eine Ausnahme).
Unsere „Inlaws“, wie das auf Englisch heißt, kamen bereits am Freitag an, so dass ich mich seitdem eigentlich täglich mehrere Stunden ins Café zurückziehen musste. Zum Glück habe ich einen Apple Laptop, so dass ich im Prinzip überall arbeiten kann, wo es eine Internetverbindung gibt.
Am Samstag griff unser Schwiegervater zum Pinsel, denn er hatte uns versprochen, den Flur zu streichen, der nach einigen Jahren schmutziger Kinderhände nicht mehr sehr appetitlich aussah. Das liegt unter anderem daran, dass eine von Finns Marotten ist, sich seine Hände nach dem Waschen an Wänden abzuputzen. Finn hat mehrere autistische „ticks“ wie sie im Englischen genannt werden. Zum Beispiel streicht er gerne andere Menschen über die Haare, bisweilen schon recht ruppig. Oder er steht beim Essen plötzlich auf, weil ihm ein Gedanke durch den Kopf geht, den er sofort umsetzen muss. Das kann auch passieren, wenn er abends wach im Bett liegt. Das hat nichts mit schlechtem Benehmen oder fehlgeschlagenen Erziehungspraktiken zu tun, sondern es ist einfach etwas, was Kinder mit Asperger tun.
Die normale elterliche Reaktion gegen ein solches Verhalten vorzugehen, ist grundfalsch. So lange Finn anderen oder sich selbst nicht schadet, riet uns der Professor in der Londoner Spezialklinik in der Finn diagnostiziert wurde, sollten wir ihm seine Ticks lassen. Also ermahnen wir ihn zwar, wenn er plötzlich während des Essens vom Tisch aufspringt, aber es hat keine weiteren Konsequenzen. Anfangs fiel es Josh schwer, das zu verstehen: Wieso durfte Finn etwas was er nicht durfte? Aber nachdem wir es ihm erklärt hatten, freundete er sich damit an, dass Finn sich eben anders verhält als andere Kinder. Wenn Leute nichts von Finns Autismus wissen, hat uns sein Verhalten aber schon öfter böse Blicke von anderen Eltern eingebracht.
Ich erinnere mich noch sehr deutlich an einen Winterurlaub in Bayern vor einigen Jahren. In dem Hotel logierten zur selben Zeit viele ältere Gäste, denen Finns Benehmen nicht immer behagte. Ein anderer Tick von Finn ist nämlich, laut zu reden – auch wenn er sich in einem stillen Raum aufhält (zum Beispiel einem Museum). Er bezieht eben die Reaktion von anderen Menschen nicht in sein Verhalten mit ein. Mich juckt das allerdings nicht mehr, wenn andere über Finn den Kopf schütteln. Wenn ich dann erzähle, dass er autistisch ist, sorgt das meist für Mitgefühl und Verständnis.
Diese Woche waren Osterferien, und meine Frau hatte sich schon ein abwechslungsreiches Programm aus sozialen und anderen Aktivitäten zurechtgelegt. Ihr erinnert Euch sicher, dass Sue Lehrerin ist und zur gleichen Zeit Ferien hat wie die Jungs. Den Mittwoch verbrachten die Buben mit Jess und ihren Kindern Milo (ein Freund und Klassenkamerad von Finn), Gusta und Lorcan. Ich war mal wieder ins Café geflüchtet, um zu arbeiten und hatte schon komplett vergessen, dass wir an diesem Nachmittag die Bude vollhaben würden. Als ich die Haustür aufschloss und das Kindergeschrei hörte wurde mir schlagartig klar, dass ich an diesem Tag arbeitstechnisch nichts mehr auf die Reihe kriegen würde. Wobei ich manchmal auch nachts arbeite, wenn die Jungs schon schlafen, aber an diesem Tag war ich einfach zu müde dafür.
Für meine Frau waren die Ferien anstrengend, denn sie musste sich alleine um die Kinder kümmern. Das ist nicht immer so. Wenn ich weniger zu tun habe, dann wechseln wir uns in den Ferien ab oder unternehmen gemeinsam etwas.
Allmählich komme ich zum Ende, denn diese Woche wollte ich mich etwas kürzer fassen. Zum Schluss allerdings noch eine kleine Anekdote. Am Samstag war ich im Londoner Stadtteil Soho, um mir dort ein Büro anzusehen, das ich hoffentlich bald mit meinem Freund Anthony teilen werde. Piccolo, wie sein Spitzname lautet, und ich waren früher Kollegen bei Haymarket Publishing. Nach drei Jahren hat sich herauskristallisiert, dass ich Zuhause nicht immer vernünftig arbeiten kann. Außerdem habe ich jetzt mehr zu tun, und insofern brauche ich einen Ort (außer dem Café) an dem ich auch am Wochenende und abends ranklotzen kann. Also fragte ich besagten Freund Anthony, ob in seinem Büro in Soho noch ein Plätzchen frei wäre. Soho ist ein zentral gelegener Stadtteil, der früher Londons Rotlichtbezirk war, aber heute eine trendiges Viertel voller Cafés, Clubs und Restaurants ist. Die Nutten scheinen sich jetzt woanders die Füße plattzustehen.
Ich klingelte bei Piccolo (weil ich noch keine Schlüssel habe), aber es machte niemand auf, also setzte ich mich in ein nahegelegenes Café in der Hoffnung, dass er noch auftauchen würde. Am Nachbartisch saßen einige junge Leute, die alle kräftig rauchten, heftig ins Gespräch vertieft. Das Ganze fand übrigens draußen statt, denn in Londoner Cafés und Restaurants darf man schon seit einigen Jahren nicht mehr qualmen. Zu dem Grüppchen gehörte auch eine hochschwangere Frau, die trotz ihres Zustands ordentlich paffte. Das Gespräch kam auf die Frage, ob Rauchen denn schädlich für ihr ungeborenes Kind sein könnte. Die junge Frau wurde unruhig und meinte sie würde nervös, wenn sie nicht rauchen dürfe. Ein Freund versuchte ihre Bedenken mit folgender Überlegung zu zerstreuen: „Ich glaube“, resümierte er, „dein Stress vom Nichtrauchen würde dem Baby sicher mehr schaden als das Rauchen selbst.“ Ihr werdet Euch sicher nicht wundern, wenn ich sage, dass mir beinahe die Kaffeetasse aus der Hand fiel. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.
Ich wünsche Euch allen eine schöne Woche.
Frank
Frank, London:
30.04.2011 13:41
Hi Volker,
ja, bis zu einem gewissen Grad schon. Finn und Josh malten in der schule alle mögluchen Bidler zu dem Thema und einige Mädchen hatten am Donnerstag weiße Kleider an zur Feier der Hochzeit. Am Freitag war hier Feiertag, und wir saßen vor dem TV und schauten uns die Sache an, obwohl ich kein Royalist bin. Allerdings schrieb ich zwei Artikel zur Hochzeit für die taz und die Jüdische Allgemeine.
Volker aus Kassel:
29.04.2011 08:53
Guten morgen nach London! Spielt eigentlich der Trubel um die königliche Hochzeit bei euch ne Rolle?