"Der Zeugungsstoff eines anderen Mannes"
Bild: © koya979 - Fotolia.com
Die stinknormale Kleinfamilie gilt uns als natürlich. Dabei ist sie historisch gewachsen. Dass weitere Familienmitglieder ausgegrenzt werden, erklärt das Unbehagen an der Reproduktionsmedizin. Worauf sich Paare, die es mit "assistierter Empfängnis" versuchen wollen, einstellen müssen, erläutert der Kulturwissenschaftler Dr. Andreas Bernard im Gespräch mit Ralf Ruhl.
Die lange Wirkung des Nationalsozialismus
Reproduktionsmedizin hat in Deutschland einen negativen Ruf. Wie kommt es zu diesem Unbehagen an der "assistierten Empfängnis"?
In den Diskussionen um das Embryonenschutzgesetz wird immer auf die Zeit des Nationalsozialismus verwiesen. Dabei gab es im Nationalsozialismus schnell eine kategorische Ablehnung der künstlichen Befruchtung. Es gibt selbstverständlich genug Beispiele für die negative Eugenik - vom Fortpflanzungsverbot für bestimmte Bevölkerungsgruppen bis zur Vernichtung sogenannten "unwerten Lebens". Die positive Eugenik, die unter anderem die Samenspende einschließt, die wurde verabscheut. Und die Ärzte, die dagegen gewettert haben, die blieben nach dem Zweiten Weltkrieg in ihren Positionen und arbeiteten genauso weiter. Da finde ich es schon problematisch, wenn von einer linken Position aus genauso argumentiert wird wie von den damaligen Vertretern der Eugenik.
Inwieweit stört die Reproduktionsmedizin die Ordnung der Familie?
Die Ordnung der Familie, wie sie sich seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzieht, besteht in einer Gemeinschaft aus Vater, Mutter und Kindern - meist auch wenigen Kindern. Die sind aus sexueller Zeugung hervorgegangen. Die Ergänzung dieser Kernfamilie, die in den Jahrhunderten zuvor normal war, wie z.B. die Amme, der Pate oder weitere Kinder des Vaters, wurde ausgegrenzt. Im späten 18. Jahrhunderts so effektiv, dass wir heute diese Art der Familie für natürlich halten.
Die "natürliche Ordnung" der Familie
Familie war nie heil...
Wenn ich von der Ordnung der Familie spreche versuche ich darzustellen, wie sich die Ängste gegen Leihmütter und andere Erweiterungen der Kernfamilie historisch begründen. Das ist eben nicht einfach ein natürlicher Abscheu gegen eine Verletzung der natürlichen Einheit Familie, das ist historisch gewachsen und entlädt sich jetzt wiederum gegen Personen, die die Familie ergänzen. Dabei handelt es sich aber heute nicht um eine Ergänzung nach der Geburt, wie die Amme, sondern eine Ergänzung bei der Zeugung.
Auf der einen Seite wird gesagt "wir brauchen mehr Kinder", auf der anderen gibt es große Skepsis gegenüber der Reproduktionsmedizin.
Genau. Auf der einen Seite hat man 2004 die Kostenübernahme bei der In-Vitro-Fertilisation gestrichen, auf der anderen Seite versucht man - so wurde ja auch das Elterngeld begründet - die Geburtenzahl zu erhöhen. Auch hieraus spricht, dass die "natürliche" Ordnung der Familie nicht kontaminiert werden darf, auch wenn sie nicht natürlich ist, sondern kulturell gewachsen.
Wenn es sich um das genetische Material des heterosexuellen Paares handelt, das miteinander lebt, ist die gesellschaftliche Akzeptanz der In-Vitro-Fertilisation so hoch, dass das nicht mehr zu Krisen kommt. Dass der Mann sagt, "mein Samen musste mit der Spritze eingeführt werden, das ist nicht richtig" und deshalb zu dem Kind oder zu seiner Frau ein gestörtes Verhältnis entwickelt - das kommt nur noch in Einzelfällen vor. Bei der Samenspende ist das anders. Es ist sicher schwer zu akzeptieren, dass man nicht gemeinsam ein Kind zeugen kann und den Zeugungsstoff von einem anderen Mann dazu braucht. Sich wirklich als Vater für dieses Kind zu sehen - das braucht eine innere Auseinandersetzung, um das so zu akzeptieren. In den Jahrzehnten, in denen die Samenspende in Deutschland als illegitim bekämpft wurde - bis 1970 hat die Deutsche Ärzteschaft sie als "unwürdig" bezeichnet - wurde in den Zeitschriften immer wieder ein Fall erwähnt, der sich 1949 in Dänemark ereignet hat. Da hat ein Mann nach einer Samenspende in der Praxis den Arzt und seine Frau erschossen. Fazit: Die Samenspende bringt den Tod. Weitere Fälle gab es offenbar nicht, deshalb wurde immer nur dieser eine erwähnt.
Auch in der pädagogischen Diskussion gibt es zwei Richtungen: Die einen sagen, das genetische Material ist unwichtig, es kommt auf die soziale Vaterschaft an. Andere sagen, gerade auch befeuert durch die Erkenntnisse der Neurowissenschaft, die Gene sind sehr wohl wichtig, unsere persönlichen willentlichen Entwicklungsmöglichkeiten sind sehr gering.
Man muss ein Arrangement finden. Wenn der Vater nicht der biologische Erzeuger ist oder die Mutter nicht die biologische Mutter, dann kann man nicht einfach sagen "alles unwichtig, das kriegen wir schon hin." Da fragt man sich, woher kommt z.B. der leichte Überbiss, die roten Haare oder die Linkshändigkeit. Das Fremde manifestiert sich phänotypisch, und daran wird man täglich erinnert. Z.B., wenn irgendwelche Leute auf dem Spielplatz sagen "ach, der ist dem Papa aber ganz aus dem Gesicht geschnitten", das Kind ist aber das Produkt einer Samenspende. Diese Herausforderung muss man täglich neu bewältigen.
Symbolischer Kitt
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass viele Familien, die reproduktionsmedizinische Hilfe in Anspruch genommen haben, sich ganz stark wie eine "natürliche" Kleinfamilie benehmen wollen.
Ja, weil die biologische Zeugung fehlt, soll das symbolisch nachgeholt werden. Man rekuriert auf das, was man überall sieht, um nicht als "unnormal" zu gelten. Das ist der symbolische Kitt eines genealogischen Risses. In einer Zeit, in der es keine Bestätigung der biologischen Vaterschaft gab, war die Ahnengalerie ungeheuer wichtig, vor allem, wenn Besitz oder Status zu vererben waren. Ich glaube, das macht man heute wieder.
Was raten Sie Männern, die unfruchtbar sind, die aber gerne Vater werden wollen?
Man muss überprüfen, für sich selbst und mit der Partnerin, ob man die reproduktionsmedizinische Hilfe aushält. Man muss für sich klären, was das für einen selbst und die Familie bedeutet. Man kann ja nicht die eigenen Identitätskonflikte nach der Geburt auf dem Rücken des Kindes austragen.
Mit Dr. Andreas Bernard sprach Ralf Ruhl
Auch in der pädagogischen Diskussion gibt es zwei Richtungen: Die einen sagen, das genetische Material ist unwichtig, es kommt auf die soziale Vaterschaft an. Andere sagen, gerade auch befeuert durch die Erkenntnisse der Neurowissenschaft, die Gene sind sehr wohl wichtig, unsere persönlichen willentlichen Entwicklungsmöglichkeiten sind sehr gering.
Man muss ein Arrangement finden. Wenn der Vater nicht der biologische Erzeuger ist oder die Mutter nicht die biologische Mutter, dann kann man nicht einfach sagen "alles unwichtig, das kriegen wir schon hin." Da fragt man sich, woher kommt z.B. der leichte Überbiss, die roten Haare oder die Linkshändigkeit. Das Fremde manifestiert sich phänotypisch, und daran wird man täglich erinnert. Z.B., wenn irgendwelche Leute auf dem Spielplatz sagen "ach, der ist dem Papa aber ganz aus dem Gesicht geschnitten", das Kind ist aber das Produkt einer Samenspende. Diese Herausforderung muss man täglich neu bewältigen.
Symbolischer Kitt
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass viele Familien, die reproduktionsmedizinische Hilfe in Anspruch genommen haben, sich ganz stark wie eine "natürliche" Kleinfamilie benehmen wollen.
Ja, weil die biologische Zeugung fehlt, soll das symbolisch nachgeholt werden. Man rekuriert auf das, was man überall sieht, um nicht als "unnormal" zu gelten. Das ist der symbolische Kitt eines genealogischen Risses. In einer Zeit, in der es keine Bestätigung der biologischen Vaterschaft gab, war die Ahnengalerie ungeheuer wichtig, vor allem, wenn Besitz oder Status zu vererben waren. Ich glaube, das macht man heute wieder.
Was raten Sie Männern, die unfruchtbar sind, die aber gerne Vater werden wollen?
Man muss überprüfen, für sich selbst und mit der Partnerin, ob man die reproduktionsmedizinische Hilfe aushält. Man muss für sich klären, was das für einen selbst und die Familie bedeutet. Man kann ja nicht die eigenen Identitätskonflikte nach der Geburt auf dem Rücken des Kindes austragen.
Mit Dr. Andreas Bernard sprach Ralf Ruhl
Ängste des Vaters
Wenn sich ein Paar für künstliche Befruchtung entscheidet, schwingen auch Ängste mit. Seitens des Vaters vielleicht "ich bin schlecht, ich habe es nicht gebracht, meine Gene sind nicht gut genug". Welche Auswirkungen hat das auf die nach der In-Vitro-Fertilisation möglicherweise entstehende neue Familie?
Bisher wurden noch keine Kommentare abgegeben.