Spielzeug und Geschlecht: Jungen spielen anders

Jungen blau, Mädchen rosa. Jungen Bauecke, Mädchen Puppen. Jungen spielen nicht mit Mädchen und umgekehrt. Das klingt unauflöslich und althergebracht. Ist es aber nicht. Wie können Jungen und Mädchen dennoch miteinander spielen – auch ohne geschlechtstypisches Spielzeug?
Rosa war nicht immer weiblich
Dabei wird immer auf dem armen Rosa herumgehackt. Nie auf dem gleichermaßen geschlechterklischierten Hellblau. Wohl weil Rosa als Mädchenfarbe gilt und daher minderwertig. Das war aber nicht immer so. Rot war die Farbe der Könige, abgewandelt die Farbe der Kardinäle. Und Rosa war das kleine Rot, der kleine Bruder, wie die Sozialwissenschaftlerin Eva Heller in ihrem Buch „Wie Farben wirken“ ausführt. Sie hat Gemälde und Familienbilder von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert in punkto Farbgestaltung untersucht. In religiösen Darstellungen wird das Jesuskind häufig in rosa Gewändern, Mutter Maria hingegen in Blau gezeigt. Erst in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts änderte sich diese geschlechtstypische Farbgebung, weil die Erinnerung an die religiöse Symbolik verblasste und sie an Bedeutung verlor. Ab den 60er Jahren wird blau dann männlich: Der „Blaumann“ ist die Arbeitskleidung der echten Kerle, die schwere körperliche Arbeit leisten, auch Matrosen tragen eher dunkelblau. Hellblau für Jungen, Rosa für Mädchen ist demnach eine sehr neue Aufteilung.
Geschlechtstypische Ansprache von Geburt an
Geschlechtstypische Ansprache erfahren Kinder gleich nach der Geburt. Im Jahr 1969 führten Goldberg und Lewis einen Epoche machenden Versuch durch, der in den folgenden Jahren immer wieder wiederholt und bestätigt wurde: Sie kleideten ein Baby in rosa und sagten den Männern und Frauen, die es betrachteten, es handele sich um ein Mädchen. Die Versuchspersonen sprachen eher süß, zart und mit höherer Stimme mit ihm, die Berührungen waren sanft und beruhigend. Dann wurde dem gleichen Baby ein hellblauer Strampler angezogen, den gleichen erwachsenen Versuchspersonen wurde es als Junge vorgestellt. Die Ansprache war von Männern wie Frauen deutlich lauter und heftiger, die Stimmlage tiefer, die Berührungen kräftiger und stärker.
Biologische Unterschiede im Verhalten von Babys
Wie sich Geschlechtsstereotype aufbauen
Dabei erfahren die Mädchen viel Zustimmung, wenn sie sich z.B. als Prinzessin verkleiden. Vor allem von ihrer Mutter, den anderen weiblichen Verwandten, den Erzieherinnen. Denn es sind in der Hauptsache Frauen, die sich um die Kleinkinder kümmern. Die loben logischerweise das, was sie selbst als weiblich identifizieren. Und dazu gehört vor allem Schönheit. Sich um das Äußere kümmern wird daher als weiblich und weiblicher Wert identifiziert und aufgenommen. Die Mädchen wiederholen ihre Super-Verkleidungs-Show, sie wollen ja wieder gelobt werden. Und das werden sie auch wieder. Womit sich dieses Verhalten als „typisch weiblich“ verfestigt.
An dieser Stelle haben Jungen Defizite. Selbstverständlich werden sie auch gelobt, selbstverständlich auch von der Mutter und den Erzieherinnen. Es sind ja auch nur Frauen um sie herum. Die nehmen sie aber schon sehr früh als Angehörige eines anderen Geschlechts wahr, als Gegenüber. Sich mit ihnen identifizieren – geht nicht. Auch das Lob der Frauen fällt entsprechend aus: Gelobt werden die Bauwerke, die Objekte. Vielleicht noch der Weg dahin – toll gemacht. Aber nicht das Sein, ihr Männlich-Sein. Männlichkeit ist demzufolge immer mit dem Tun verbunden; der ergebnis- und lösungsorientierte Macher eben.
Eine Kita ohne Bau- und Puppenecke
Das Experiment war erfolgreich. Zwei Monate nach der Auflösung der getrennten Spielbereiche war das geschlechtstypische Spielverhalten kaum noch vorhanden. Es gab keine Jungen- und Mädchengruppen mehr, auch abwertende Bemerkungen über das andere Geschlecht waren kaum noch zu hören. Jungen und Mädchen waren meist gemeinsam aktiv – und zwar mit Bausteinen und Autos, mit Puppen und Kuscheltieren.
Es geht auch ohne Geschlechterklischees!
Das zeigt: Es kann völlig egal sein, ob ein Junge oder ein Mädchen mit dem Ball spielt. Denn „ein Ball hat kein Geschlecht“, so Annette Drüner. Es kommt auf die Umgebung an, in der dieses Spielzeug auf den Rasen fliegt. Welche Zuschreibungen von außen an den Ball und damit an die Kinder, die damit spielen, herangetragen werden. Da das bereits sofort nach der Geburt beginnt, kann man nicht früh genug anfangen zu zeigen, dass der Ball für Jungen und Mädchen gleichermaßen da ist.
Ralf Ruhl