24.01.2011
1. Woche
Ein überraschender Brief
Wir leben in London. Meine Jungs sind hier geboren. Die Stadt bietet ein einzigartiges Ambiente für Kinder. Dafür nehmen wir gerne Schattenseiten in Kauf.
Es ist 10 Uhr morgens und ich sitze mit meinem Laptop am Küchentisch. Eben höre ich unseren „Briefkasten“ (der eigentlich eher ein Briefschlitz ist, wie das eben in englischen Häusern so üblich ist) klappern. Ich stürze auf den Flur, denn ich warte auf Geld. Leider ist der Scheck wieder nicht in der Post, dafür aber ein Brief. Die Adresse ist in einer mir sehr vertrauten Handschrift geschrieben: sie gehört meinem Sohn Finn. Verwundert öffne ich den Brief und mir geht das Herz auf. Finn hat einen Dankesbrief für uns verfasst. Eingerahmt von rot angemalten Blumendrucken, bedankt er sich für ein schönes Weihnachtsfest und sein Geschenk (oder vielmehr sein Lieblingsgeschenk), ein DS. Ich bin zu Tränen gerührt. Komisch, früher habe ich immer über meine Eltern gelacht, wenn sie beim Anblick von Kinderfotos feuchte Augen bekamen. Heute bin ich genauso. Sind es doch genau diese Momente, an die man sich 30 Jahre später wehmütig erinnert, oder?
Mein Name ist Frank Heinz Diebel. Ich bin ein deutscher Journalist, der seit zwölf Jahren mit seiner Frau Sue (Künstlerin) und seinen beiden Söhnen Finn (10 Jahre) und Josh (8 Jahre) in London lebt. Seit drei Jahren bin ich ein stay-at-Home-Dad, sprich ich arbeite von Zuhause, nachdem ich 15 Jahre in verschiedenen Redaktionen in Deutschland und England tätig war. Als meine Kinder noch sehr klein waren, bekam ich sie aufgrund meiner Arbeitszeiten kaum zu Gesicht. Heute sehe ich sie jeden Tag, und es macht mir großen Spaß ein „moderner“ Vater zu sein.
Meine Jungs sind beide in London geboren. Meine Frau stammt aus dem englischen Birmingham, und ich komme ursprünglich aus Eschborn, ein kleiner Ort nahe Frankfurt am Main.
Wir leben in einem kleinen viktorianischen Backsteinhaus (von denen es in London so viele gibt – Foto folgt) in einer ruhigen Seitenstraße in dem ansonsten sehr lebhaften Stadteil Hackney. Hackney ist ein sogenannter Inner City Borough sprich, es liegt sehr zentral, nur wenige Minuten von der Londoner City entfernt. Auch bis nach Covent Garden und Canary Wharf ist es nur ein Katzensprung. Hackney liegt im berüchtigen Londoner East End. Das East End ist heute vor allem für einen seiner berühmtesten Söhne bekannt, den Serienmörder Jack the Ripper. Nicht unweit von uns in Whitechapel schnitt Jack in nebligen Seitenstraßen Ende des 19. Jahrhunderts Prostituierten die Kehlen durch. Aber das ist lange her und heute ist der Londoner Osten vor allem für Multi-Kulti und seine vielen Künstler und Medienschaffenden bekannt. Hackney hat auch viele soziale Brennpunkte und die ein oder andere Gesamtschule musste in der Vergangenheit schon geschlossen werden, weil die Kriminalität auf dem Schulhof und im Klassenzimmer überhand nahm.
Eine Großstadt wie London ist natürlich eine Herausforderung für eine junge Familie. Viele Schulen und öffentliche Einrichtungen sind überfüllt und unterfinanziert. Die Straßen sind verstopft, die Supermärkte überfüllt. Die Luft ist schlecht. Aber London das ist auch Carnaby Street und Big Ben, Brit-Rock und Pommes mit Essig, Doppeldeckerbuss und Saint Paul’s Cathedral.
London hat einen eigenen Flair, den man nirgendwo sonst auf der Welt findet und bietet, wie ich finde, ein einzigartiges Ambiente für Kinder. Und dafür nehmen wir gerne die Schattenseiten in Kauf.
Meine Jungs besuchen die örtliche Grundschule St. John of Jerusalem, die sich inzwischen zu einer der besten Lehranstalten der Gegend gemausert hat. Englische Schule – das bedeutet Schuluniform (blaues Sweatshirt und graue Hose), Ganztagsschule (9 bis 15.30 Uhr) und backed Beans mit Tomatensoße zum Mittagessen.
Ich freue mich, ein Jahr lang für das Väter-Tagebuch auf Väterzeit.de schreiben zu dürfen, und hoffe, den Lesern werden meine Beiträge gefallen.
wieland aus waiblingen:
28.01.2011 09:18
na das ist ja mal was neues und interessantes hier! hab gleich das tagebuch abonniert. wann kommt der nächste beitrag?
volker, Kassel:
26.01.2011 09:26
Ich bin gespannt! London finde ich super spannend, als kinderfreundliche Stadt hatte ich es allerdings noch nicht wahrgenommen. Erinnere mich an verzweifelte Versuche, mit Kinderwagen in den engen U-Bahnschächten zu manövrieren. Freue mich aber darauf, mich eines Besseren belehren zu lassen.
Gerd, Norddeutschland:
25.01.2011 20:27
Hallo Frank,
da bin ich mal gespannt auf den Bericht über meine Lieblingsstadt. Eine Sache habe ich ja an den Londonern noch nie verstanden: Wie kann man sich angesichts des Preisniveaus in London überhaupt das Leben dort leisten? Zumal in einem innerstädtischen Borough? Oder bist Du oder Deine Frau so erfolgreich, dass das kein Problem ist?
Yvonne, Berlin:
25.01.2011 10:40
Herzlich willkommen! Das wird sicher interessant, aus einem anderen Land und auch mal von etwas älteren Kindern zu hören!
Gast:
24.01.2011 19:50
Hallo Frank,
ein netter Artikel. Hat uns Freude gemacht, ihn zu lesen.
Viel Erfolg mit der Fortsetzungen, wir sind schon gespannt.
Mama und Papa