Der Zauberwaschlappen
Mit kleinen Aufmerksamkeiten machte sich Papa Adrian während der Wehen unverzichtbar. Eine nicht gerade schmerzfreie Geburt im Geburtshaus.
Schlaflos im Ehebett
Was waren das für Nächte in den letzten Wochen! Neben mir meine hochschwangere Frau, die mit Kugelbauch und Kind laufend wach wurde. Das erneute Einschlafen bereitete schon lange Probleme, so dass sich die durchschnittliche Schlafenszeit auf wenige Stunden reduziert hatte. Im Hinblick auf die baldige Geburt war unser innigster Wunsch demzufolge auch der nach Schlaf. Übernächtigt und körperlich am Limit in den Geburtsprozess gehen zu müssen, war uns ein absolutes Grauen. Am Mittwoch (08.02.) war meine Frau noch bei ihrer Hebamme und berichtete unter anderem, dass sie noch gar nicht so richtig bereit sei, den kleinen Knopf gehen zu lassen. Die Hebamme antwortete, dass es in solchen Fällen auch nicht passieren würde, da sich Mutter und Kind bereit fühlen müssten...
Es ist natürlich klar, was jetzt kommen muss: In der selben Nacht gegen 02:00 Uhr weckte mich meine Frau mit dem dezenten Hinweis auf sintflutartige Zustände in unserem Bett. Eine kurze Nachschau bestätigte die Vermutung, und nun gab es kein Zurück mehr. Das Gefühl in diesem Augenblick lässt sich nur schwer beschreiben. Wochen- und monatelang beschäftigt man(n) sich mit nichts anderem als diesem Ereignis. Man besucht Kurse, liest Bücher und plant alles wieder und wieder. Als ich dann dort vor unserem Bett stand und mir langsam bewusst wurde, dass es jetzt wirklich beginnt, war das schon sehr eigenartig. Zu meiner Überraschung wurde ich als erstes sehr ruhig, es war als würde mein Kopf auf Autopilot stellen und tief vergrabene Fähigkeiten aktivieren. Statt Panik oder Hysterie stellte sich Konzentration und Sachlichkeit ein. Dies überraschte mich mindestens genauso, wie der Geburtsbeginn an sich. Natürlich funktionieren einige Handgriffe morgens um 02:00 noch nicht reibungslos, so dass auch der eine oder andere Nachbar am Beginn dieses wundervollen Ereignisses partizipieren durfte.
Schon im Vorfeld ein gutes Team
Die Tasche hatte meine Frau schon Monate vorher fertig, so dass ich mich nur noch um Verpflegung und ein paar eigene Sachen kümmern musste. Im Wohnzimmer legte sie sich hin und ich notierte minutiös die Abstände und Dauer der Wehen. Wie vorher gelernt, riefen wir unsere Hebamme an als sich die Wehen auf eine gewisse Regelmäßigkeit festgelegt hatten. Wir hatten uns aus diversen Gründen für eine Geburt im Geburtshaus entschieden. Wir verabredeten uns zu 06:00 Uhr vor Ort.
Natürlich waren wir beide sehr aufgeregt und auch ängstlich. Solange das Kind im Bauch schwimmt und man lediglich den dicken Bauch begutachtet und sich an regelmäßigen kleinen Tritten erfreuen kann, hat das Ganze noch etwas Lockeres und mehr oder weniger Unverbindliches. Nun wurde uns schlagartig bewusst, dass es jetzt definitiv beginnen würde. Der eingangs schon erwähnte Schlafmangel bereitete die größten Sorgen, bereits kaputt in eine Geburt zu gehen war keine schöne Aussicht. Hier beruhigten und bestärkten wir uns laufend gegenseitig, was beiden von uns sehr geholfen hat. Als Team zu agieren ist insbesondere in diesen Momenten unbezahlbar. Und damit ist keinesfalls nur das Versorgen und Organisieren gemeint. Vor allem die gegenseitige emotionale Unterstützung ist unverzichtbar, das Verständnis für die Sorgen des anderen und liebevolle Zuwendung erleichtern den Einstieg in dieses große Ereignis ungemein.
Drehen in die Startposition
Gegen 05:30 Uhr ging es dann in Richtung Geburtshaus. Die Entscheidung zur Nutzung des eigenen Autos sollte auch hier gut überlegt sein, ich fühlte mich fit und konzentriert genug. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h ging es durch die Stadt. Neben mir eine schmerzgeplagte Frau verfluchte ich jede Bodenwelle. Konnte es sein, dass es plötzlich tausende davon gab?
Bei der Ankunft im Geburtshaus war unsere Hebamme bereits vor Ort. Wir richteten uns erst einmal im Zimmer ein und erstatteten Bericht. Eine kurze Untersuchung später war auch offiziell klar: Fruchtblase geplatzt, geht los...
Offensichtlich war der Muttermund meiner Frau noch viel zu klein, und die ständigen heftigen Schmerzen waren das Resultat der Drehbewegungen des Kindes. Der kleine Knopf hatte das Rennen noch gar nicht begonnen, sondern rangierte sich noch in eine optimale Startposition. Leider tat er dies in eher italienisch geprägtem Fahrstil, so dass die Schmerzen nur noch zunahmen. Mittlerweile lag meine Frau auf dem Bett und ich wartete gespannt was nun alles passieren würde. Wir hatten vorher ausführlich über die Geburt geredet, so dass auch ich im Bilde war, was sie genau wollte und was nicht.
Heftige Schmerzen
Die Schmerzen wurden von Stunde zu Stunde heftiger, sie schrie herzzerreißend und hatte unglaubliche Schmerzen. Am schwersten war für mich in diesen Augenblicken die absolute Machtlosigkeit. Man sieht einen geliebten Menschen leiden, sitzt direkt daneben und kann nichts unternehmen. Später erklärte mir meine Frau, dass ich sehr wohl viel getan hätte, allein das ständige Dasein, Versorgen mit Essen/Trinken oder das Reichen eines Waschlappens waren ihr eine große Hilfe. Allein ich realisierte das in diesen Augenblicken gar nicht und kam mir vollständig handlungsunfähig vor. Mehrfach sah ich in ihr schmerzgeplagtes Gesicht und hatte echte Angst, dass sie gleich abklappen würde.
Die Hebamme kam immer mal zur Kontrolle, ließ uns aber sonst in Ruhe. Unter anderem wegen dieser Stressfreiheit von außen hatten wir uns auch für das Geburtshaus entschieden. Als die Hebamme gegen 10:30 Uhr noch einmal untersucht hatte, nahm ich an ihr eine gewisse Sorge war, und auf Nachfrage erklärte sie mir, dass die eigentlich Geburt noch gar nicht begonnen hatte und der Muttermund immer noch zu klein war. Da ich vorbereitet war, wusste ich, dass ab dem Blasensprung (2:00 Uhr) etwa 12 Stunden bleiben, bis die Geburt begonnen haben muss. Ansonsten müsste sie medizinisch eingeleitet werden, etwas was wir unter allen Umständen vermeiden wollten.
Zeitdruck und Sorge
Nun wurde aus der ohnehin sehr schmerzhaften Angelegenheit auch noch eine mit Zeitdruck und Sorge. Ich sagte meiner Frau nichts von dem Gespräch, da ich Angst hatte sie würde in Panik verfallen und damit sich oder dem Kind schaden. Unzählige Schmerzen später kam die Hebamme erneut und empfahl uns nun ein Medikament, was zur Entspannung und Weitung des Muttermundes beitragen würde. Wir hatten uns zwar vorher vorgenommen, auf jegliche Medikamente zu verzichten, angesichts der Situation war die Entscheidung für dieses Mittel (Meptid) aber schnell gefallen. Es wurde intravenös verabreicht und schlug quasi sofort an.
Und WIE es das tat! Ich sah die weg drehenden Augen meiner Frau und ihr leicht apathisches Lächeln. Ungefähr so musste sich wohl ein richtig guter Trip anfühlen. Mit einem Mal waren die Schmerzen erträglich und sie wurde sehr müde und sehr glücklich. Ich machte mir etwas Sorgen wegen der Heftigkeit des Medikamentes, war aber andererseits sehr froh, die Erleichterung bei meiner Frau zu bemerken. Neben der offensichtlich berauschenden Wirkung tat das Medikament auch sonst das, wozu es gedacht war. Innerhalb von kürzester Zeit entspannte sich meine Frau und der Muttermund weitete sich deutlich. Auch die Hebamme war nun zufrieden und der eigentliche Geburtsprozess konnte beginnen. Ich war nun auch recht froh meiner Frau nichts von der Zeitnot berichtet zu haben, in der wir uns befunden hatten. Volle Konzentration auf die Extraktion :-)
Rein in die Wanne, raus aus der Wanne
Nach einer kurzen Pause verlangte meine Frau dann nach einem entspannten Wannenbad. Also rüber ein Richtung Badewanne und sie vorsichtig hineingelassen. Die Wehen schlugen nun schnell und heftig an und die Gesamtlautstärke stieg erheblich. Genaue Messungen wurden zwar nicht durchgeführt, der Rückbildungskurs nebenan hatte jedoch große Konzentrationsschwierigkeiten. Ich litt nun erneut mit meiner Frau, sie schrie und flehte um Gnade, doch es wurde ihr keine gewährt. Auch variantenreich vorgebrachte Aufforderungen jetzt sofort aufzuhören hatten keinen Erfolg. Sie schien nun auch völlig weggetreten, die Rennfahrer würden sagen „im Tunnel“. Es drang nicht mehr allzu viel zu ihr durch alle Kraft und Konzentration richteten sie auf die Geburt. Ich hatte mich vorher ja nun ausführlich über die diversen Dinge informiert die man(n) während der Geburt zu sehen bekommt, gute Entscheidung! Egal welche Form der Ausscheidung gemeint ist, sensibel darf man in einer solchen Situation nicht sein. Und am Ende ist man es auch nicht. Zu meiner Überraschung war ich nach wie vor sehr entspannt und konzentriert. Egal was dort vor mir geschah, es konnte mich nicht zum Aufgeben bringen. Zumal meine Frau vor mir mit unglaublichen Kräften ebenfalls nicht aufgab!
In der Wanne reichte ich nun Essen (Traubenzucker, Banane = Energie!) und Trinken und setzte erneut gekonnt meinen Zauberwaschlappen ein. Was so ein bisschen kaltes Nass auf der Stirn alles ausrichten kann, erkennt man wohl auch erst in solchen Situationen. Offensichtlich ging nun auch alles recht schnell, die Hebamme schaute regelmäßig vorbei und gab zu verstehen, dass wir auf einem guten Weg waren.
Als die Schmerzen schlimmer und das Tempo höher wurde, empfahl sie nun die Wanne besser zu verlassen und zurück aufs Bett zu wechseln. Sie erklärte mir, dass der hohe Grad an Widerstand meiner Frau eine Geburtsunterstützung in der Wanne nicht möglich machte.
Voller Oxytocin-Schub
Augenzwinkernd raunte sie mir zu: „ Ich werde sie auf dem Bett auch gleich brauchen!“ Verunsichert ließ sich mich stehen, in meinem Kopf begann nun ein sofortiges Kino, gegen das die ersten 30min von Der Soldat James Ryan wie eine Puzzlegruppe im Seniorenheim wirkten...Meine bis dato konsequent vorhandene Sicherheit fing nun etwas an zu wackeln.
Wir hievten meine Frau also aus der Wanne und bewegten uns zügig in Richtung Bett. Sie legte sich hin und war nun auch völlig in einer anderen Welt, der eingespeicherte körperliche Vorgang hatte vollends die Kontrolle übernommen und sie folgte ihm nur noch. Es war schon sehr beeindruckend mitzuerleben, wie viel Kraft ein Mensch in Extremsituationen entwickeln kann. Jetzt ging auch alles sehr schnell, obwohl meine Frau noch gar kein Pressdrang empfand, hatten die Presswehen begonnen. Ich saß neben ihr und presste instinktiv mit. Später berichtete sie mir, dass dies auch wirklich geholfen hatte. Mein Kopf war wahrscheinlich genauso rot wie ihrer und schweißgebadet war ich auch. Die Hebamme forderte nun immer weiteres Pressen und das Gesicht meiner Frau wechselte im Eiltempo zwischen ekstatischer Kriegeramazone und verzweifeltem Dämon... Der kleine Knopf war nun nur noch wenige Wehen vor seiner endgültigen Ankunft in unser Welt entfernt.
Doch es ging wohl noch nicht gut genug, die Hebamme besorgte sich um die Herztöne des Kindes und empfahl ein letztes Medikament. Das Hormon Oxytocin sollte die letzten Wehen noch einmal entscheidend verstärken. Mit jedem Pressen erwartete ich nun etwas zu sehen, allein ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht genau was mich eigentlich erwarten würde. Eine seltsame Form der Aufregung und Vorfreude erfasste mich... Doch auf den einen Augenblick gibt es einfach keine Vorbereitung! Mit einem letzten Kraftakt presste meine Frau, gefühlt kurz vor der Ohnmacht, und ein winziges Köpfchen erschien. Erfreulicherweise folgte direkt dahinter auch der Rest und mit einem Schlag war unser Kind da. Klein, blutig, schmierig und das wohl fantastischste Wesen auf dieser Erde. Die Hebamme legte die kleine sofort auf die Brust meiner Frau und ließ noch wie gewünscht die Nabelschnur auspulsieren.
Und ich? Ich konnte nur noch weinen, keine Ahnung wieso oder wo das herkam, aber ich konnte absolut nichts dagegen machen. Die Freudentränen überrannten mich und ich gab mich einfach voll und ohne Einschränkung dem Moment her. Auch mit einigem Abstand kann ich die Gefühle in diesem Augenblick nicht beschreiben, es war einfach überwältigend und unfassbar auf so vielen Ebenen...
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