Betreuungsgeld: Vor allem für Migranten?
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Statt ihr Kind in eine Tagesstätte zu schicken, favorisieren Migranten und bildungsferne Eltern überdurchschnittlich häufig das Betreuungsgeld. Deutlich wird damit, dass es bei der umstrittenen Regelung nicht nur um Familienpolitik geht, sondern um zentrale gesellschaftliche Fragen wie soziale Spaltung und Integration.
Schlechtes Deutsch, keine Kita
Wer sein Kleinkind nach der Elternzeit nicht öffentlich betreuen lassen, sondern weiterhin selbst versorgen will, hat seit August 2013 Anspruch auf staatliche Unterstützung. Inzwischen bekommen Mütter (und auch Väter) 22 Monate lang 150 Euro Zuschuss, anfangs waren es 100 Euro. Das von der bayerischen CSU gegen die Widerstände der Opposition und Teile des eigenen politischen Lagers durchgesetzte Betreuungsgeld zeigt nun jene Folgen, vor denen Kritiker immer wieder gewarnt haben: Der finanzielle Anreiz hält einkommensschwache Familien und vor allem Haushalte mit Migrationshintergrund davon ab, ihren Nachwuchs in Kindertageseinrichtungen unterzubringen.
Zuwanderer sollten möglichst schnell Deutsch lernen, fordern Politiker regelmäßig in Sonntagsreden zum Thema Integration. Das Betreuungsgeld bewirkt eher das Gegenteil. Denn dadurch verbringen Migrantenkinder ihren Alltag besonders lange in Familien, wo ausschließlich türkisch, russisch oder arabisch geredet wird. Die Möglichkeit, frühzeitig in Krippen oder Kitas andere Sprachen, Werte und Kulturen kennen zu lernen, wird ihnen auf diese Weise vorenthalten.
Betreuungsgeld erschwert Integration
Die Technische Universität Dortmund hat im Forschungsverbund mit dem Deutschen Jugendinstitut im vergangenen Jahr junge Väter und Mütter zu ihren Wünschen (nicht zu ihrem tatsächlichen Verhalten) befragt. Die vom Bundesfamilienministerium geförderte Studie stellt in einer Teilauswertung fest, dass Eltern mit geringen Deutschkenntnissen sich wegen des Betreuungsgeldes besonders häufig gegen den Besuch einer Tagesstätte aussprechen. Untermauert wird dieses Ergebnis durch aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes: Danach haben 14 Prozent der Kinder, deren Eltern die Leistung beziehen, nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. Der durchschnittliche Ausländeranteil hierzulande beträgt jedoch nur 8,7 Prozent.
Die Sozialverbände, deren Mitarbeiter viel mit Einwandererfamilien zu tun haben, schlagen deshalb Alarm. Das Betreuungsgeld erschwere die Integration; es raube gerade jenen Kindern Lernmöglichkeiten, die frühe Bildung und ein erweitertes soziales Umfeld nötig hätten. Dieses Argument kann sich auf die so genannte Nubbek-Studie stützen, die "Nationale Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit". Dort fanden Forscher heraus, dass Kinder, die früh eine Kita besuchen, höhere Sozial- und Alltagskompetenzen aufweisen als Gleichaltrige, die ausschließlich zu Hause betreut werden. In besonderem Maße gilt dies für die Sprachentwicklung.
Lieber Geld als Bildung
Die negative Wirkung des Betreuungsgeldes beschränkt sich aber nicht auf Migrantenfamilien. Noch deutlicher sind die Unterschiede bei der Nutzung je nach Bildungsgrad. 31 Prozent der Väter und Mütter ohne Schulabschluss geben in der Dortmunder Befragung an, ihr Kind wegen des Zuschusses nicht in die Kita geben zu wollen. Unter denen mit Hauptschulanschluss sind es immerhin noch 23 Prozent, mit mittlerer Reife sind es 14 Prozent. Bei den Hochschulabsolventen schließlich sinkt der Anteil auf 7,8 Prozent.
Je höher das Bildungsniveau der Eltern und damit auch das Familieneinkommen, desto geringer ist das Interesse am Betreuungsgeld. In den besser gestellten Milieus wird den außerhäuslichen Kontakten kleiner Kinder mehr Gewicht beigemessen. Zudem sind gut Qualifizierte häufiger erwerbstätig und daher stärker auf öffentliche Angebote angewiesen. Fördert das neue familienpolitische Instrument also die soziale Polarisierung? Trägt es dazu bei, dass sich die Gesellschaft spaltet in Arm und Reich, in mehr oder weniger Gebildete, in Etablierte und Abgehängte?
Widersprüchliche Familienpolitik
Experten warnen davor, die Folgen des Betreuungsgeldes zu dramatisieren. Derzeit beziehen nur rund 150.000 Haushalte in Deutschland, davon überproportional viele in Bayern, die Förderung. Über eine halbe Million Kinder unter drei Jahren dagegen besuchen eine Tagesstätte. Und immerhin 73 Prozent der 2013 von der TU Dortmund befragten Eltern erklärten, der staatliche Zuschuss spiele bei der Wahl ihrer Kinderbetreuung überhaupt keine Rolle.
Die Widersprüche der deutschen Familienpolitik und ihre sozialpolitischen Konsequenzen bleiben ein ständiger Zankapfel. Ministerin Manuela Schwesig (SPD) war vor ihrem Amtsantritt stets gegen das Betreuungsgeld und würde es lieber heute als morgen wieder abschaffen. Sie verweist auf ein ausstehendes Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, von dem sie sich eine Ablehnung des Gesetzes erhofft. Solange jedoch die CSU an der Regierung beteiligt ist, dürfte die Regelung trotz aller Wahlversprechen der Sozialdemokraten erhalten bleiben. Spätestens Ende 2015 will die Große Koalition dann einen eigenen Bericht über die Auswirkungen des Betreuungsgeldes vorlegen.
Thomas Gesterkamp