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Männer brauchen Feminismus


Jack Urwin - Männer brauchen FeminismusBild: © Ocskay Mark-fotolia.com

Ein 25-jähriger britischer Autor, Jack Urwin, will Männern – und vor allem Vätern – eine gehörige Portion Feminismus verabreichen. „Das Patriarchat schadet auch den Männern“, schreibt er in seinem Buch „Boys don’t cry“. Das hat zu tun mit dem Tod seines Vaters, hohen Selbstmordraten und der berühmten englischen steifen Unterlippe. Die gilt ihm als Synonym für die ungesunde männliche Lebensweise. Mit Barbara Streidl stellt eine bekennende Feministin seine Thesen auf väterzeit.de vor.

„Beschäftige dich mit deiner Männlichkeit“


„Wir brauchen den Feminismus.“ Das schreibt der 25-jährige britische Autor Jack Urwin. Nach gefühlten 1.000 Jahren des Kampfes um Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen empfinde ich irgendetwas zwischen freudiger Überraschung und Angst vor Verrat, wenn dieser Satz von einem jungen Mann kommt.

Doch Jack Urwin scheint es sehr ernst zu meinen. 2014 veröffentlichte er einen Artikel für das Online-Magazin VICE namens „A Stiff Upper Lip is Killing British Men“ („Das Zähnezusammenbeißen tötet die britischen Männer“). Nach einer niederschmetternden Bestandsaufnahme der hohen Selbstmordraten britischer Männer und ihrer konsequenten Verschlossenheit, wenn es um gesundheitliche oder andere Probleme geht, bat er seine Leser, sich ein wenig Zeit zu nehmen: Jeder solle sich mit seiner eigenen Vorstellung von „Männlichkeit“ beschäftigen, schließlich wolle er, der junge Autor, kein Buch darüber schreiben. Viele Kommentare und Leserbriefe später hat er das Buch dann doch geschrieben: „Boys don’t cry“. Den letzten Schubser an den Schreibtisch bekam Jack Urwin von der bekannten britischen Publizistin Laurie Penny, an deren Feminismus derzeit kaum jemand vorbeikommt.

Der Vater zeigt sein Gemächt in Radlerhosen


In Urwins Buch geht es zuallerst um die Beziehung zu seinem Vater. Dieser wird als sehr männlicher Scherzkeks beschrieben, der sein Gemächt in engen Latex-Radlerhosen zur Schau stellte – ein Vorzeigemodell der oben genannten „stiff upper lip“. Nachdem er ein paar Tage wegen „Grippe“ nicht zur Arbeit ging, stirbt der Vater des Autoren mit 51 an einem Herzinfarkt.

„Kurz darauf fand meine Mutter in einer Jackentasche meines Vaters ein frei verkäufliches Herzmedikament, und damit war klar, dass er gewusst hatte, dass irgendetwas im Schwange war, doch Brustschmerzen, die schon einmal beinahe zum Tod geführt hatten, waren in seinen Augen anscheinend nicht so wichtig, dass man sich damit an einen Arzt wandte. Typisch Dad!“

Der nun vaterlose Sohn wird kurz darauf zehn Jahre alt und dann Preisträger der Auszeichnung „witzigster Schüler“. Seine bislang ungekannte Witzigkeit erklärt er sich über umgelenkte Trauer: Lieber andere unterhalten als weinen – obwohl ihm das Weinen lieber gewesen wäre.

Auch Jungen ist manchmal zum Weinen


Da haben wir das „Boys don’t cry“ aus dem Titel des Buches, das fest in der Biografie des Autors verwachsen ist. Dass Humor ein guter Verteidigungsmechanismus ist, hat er auf der Jungenschule gelernt, und offensichtlich auch von seinem Vater übernommen. Doch irgendwann hat das herkömmliche Inventar aus der Abteilung Männlichkeit nicht mehr ausgereicht: Die Starre der zur Verfügung stehenden Bilder geht ihm auf die Nerven, ebenso die Stereotypen, in denen er sich selbst nicht wiederfindet. Er diskutiert, wird unbequem und sucht nach neuen Wegen, ein Mann zu sein.

Urwin fühlt sich nicht zugehörig zu den britischen Lads, also den „echten Kerlen“, die zur Zeit seiner Geburt, in den frühen Neunzigern, parallel zum US-amerikanischen Backlash hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit (wer mehr dazu lesen möchte: Susan Faludi, Backlash) ausgerufen wurden. Lads sollten das durch Feministinnen geschmälerte Selbstwertgefühl von Männern wieder etablieren, indem sie wie die Gallagher-Brüder rumpöbeln und sich nicht schämen, aus der Arbeiterklasse zu stammen. Diese Lad-Kultur lehnt Urwin kategorisch ab: Sie stellt für ihn ein Ideal von Männlichkeit dar, dessen ursprüngliche Werte aus der Zeit gerissen sind:

„In ihrem Versuch, aus dem Nacheifern der Arbeiterklasse ein Gefühl von Mannhaftigkeit abzuleiten, während sie doch das entscheidende Detail (nämlich die Arbeit, die diese Männer verrichten) auslässt, ist die Lad-Kultur die Personifizierung toxischer Männlichkeit."

Männlichkeit ist mehr als Protzen und Pöbeln


Urwin arbeitet sich ab an solcherlei toxischen Bestandteilen von Männlichkeit, vom Film „Fight Club“ über die Männerrechtsbewegung, die er als erbärmlich frauenfeindlich bezeichnet, bis hin zur Pornografie, die für ihn kein Auslöser von sexuellem Begehren ist, sondern ein Symptom davon. Und natürlich hat er Wünsche für eine neue Welt, in der etwa guter Sexualkundeunterricht Heranwachsenden hilft, sich auch in der Realität jenseits der auf Smartphones gezeigten Fick-Bilder zurechtzufinden. Dabei wird er sehr politisch:

„Indem wir die überholte Vorstellung aufrechterhalten, die Biologie eines Mannes wäre direkt mit seiner Persönlichkeit verknüpft, ignorieren wir die Tatsache, dass der männliche Penis im Laufe unserer Entwicklungsgeschichte nur dann machtvoll war, wenn er als Waffe gegen Frauen eingesetzt wurde.“

Bessere Beziehungen zwischen Männern und Frauen – ohne Patriarchat


Jack Urwin ruft dazu auf, dass „wir“ – gemeint ist wohl die Weltgesellschaft – uns neu orientieren in Sachen Männlichkeit. Der erste Schritt dafür ist die Akzeptanz dieses Satzes: „Das Patriarchat schadet auch den Männern.“ Ist der verstanden, sind andere Dinge plötzlich möglich. Neben besseren Beziehungen steht vor allem ein neues Verständnis von Vaterschaft auf der Liste: Fortschritte, gar ein Überwinden von Ungerechtigkeiten etwa bei Scheidungsurteilen und dem Ringen um das Sorgerecht werden nicht erreicht werden, „wenn wir uns nicht vorher mit anderen Genderungleichheiten befassen.“

Seinen eigenen Vater bezeichnet Urwin übrigens nicht als schlechten Menschen, sondern als Kind seiner Zeit: Aufgewachsen mit einem Vater, des Autoren Großvater, der von Kriegstrauma und Alkoholkonsum geprägt seine Gefühle unterdrückte, wusste er es wohl nicht besser. Damit Urwin selbst, als Enkelsohn, endlich diesen Kreis durchbricht, hat er wohl dieses Buch geschrieben – stellvertretend für seine Generation. Denn dass er die Älteren noch ändern könnte, bezweifelt er recht realistisch, wie er vor kurzem in einem Interview gesagt hat: „It is like racism and homophobia – we sort of have to wait for some people to die out.“ („Das ist wie bei Rassismus und Homophobie – wir müssen wohl darauf warten, dass manche Menschen aussterben.“)

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