Born to run: Bruce Springsteen und sein Vater
Bild: ©Patrizia Doubek/Heyne Verlag
Bruce Springsteen hat mit 67 Jahren seine Autobiografie veröffentlicht. Ungewöhnlich für einen Rockstar: Er hat die Beziehung zu seinem psychisch kranken Vater sehr genau beschrieben. Aber auch die Geburten seiner Kinder haben seine Songs und seine Musik beeinflusst. Long live Rock!
Boxunterricht und Gewalt
Ende September feierte Bruce Springsteen seinen 67. Geburtstag, zeitgleich ist weltweit seine Autobiografie erschienen: „Born to run“. Nach Veröffentlichung ist das Buch in Deutschland und vielen anderen Ländern auf Rang 1 der Sachbuch-Bestsellerlisten gegangen. Der „Boss“, wie die Fans ihn liebevoll nennen, hat sein Leben erstmals nicht zu Musik und Text gleich Song gemacht, sondern ausschließlich zu Text. Wie das so ist in einer Musikerbiografie, geht es auch in diesem Buch viel darum, mit wem er wann und wo welchen Song angespielt hat und wie das so war – vor dem großen Erfolg, den das Album „Born to run“ 1975 gebracht hat. Aber daneben gewährt Springsteen den Leserinnen und Lesern einen Einblick in seine Seele:
„Über sich selbst zu schreiben ist eine merkwürdige Sache. ... Ich habe nicht ‚restlos alles’ über mich erzählt. ... Aber vor einem Projekt wie diesem hat man als Autor ein Versprechen gegeben: dass man dem Leser einen Blick in sein Innerstes gewährt. Genau das hab ich auf diesen Seiten versucht.“
Was viele Fans durch Songs wie etwa „Adam raised a Cain“, erschienen auf dem Album „Darkness on the edge of Town“, mit Sicherheit immer geahnt haben, wird in diesem Buch bestätigt: Es ist nicht alles gut gelaufen im Hause Springsteen: Selbstkritisch und offen schreibt Springsteen über seine Kindheit in New Jersey, über die bösen Spannungen zwischen ihm und seinem Vater:
„Eines Abends gab mein Vater mir im Wohnzimmer Boxunterricht. Ich fühlte mich geschmeichelt, freute mich über sein Interesse an mir und gab mich gelehrig. Und es lief gut. Doch auf einmal landete seine flache Hand gleich mehrmals in meinem Gesicht. Und zwar ein bisschen zu hart, sodass es wehtat. Natürlich war ich nicht verletzt, aber er hatte definitiv eine Grenze überschriten. Mir war klar, dass er mir damit etwas mitteilen wollte. ... Ich war ein Störenfried, ein Fremder, ein Rivale im gemeinsamen Zuhause und obendrein eine Enttäuschung. Es brach mir das Herz.“
Leben mit einem psychisch kranken Vater
Springsteens Vater litt an Schizophrenie und Depressionen und ließ das seinen Sohn spüren. Der flüchtete – zuerst zu seinen Großeltern, später in die Musik. Dort malte er das Porträt seines Vaters als Archetyp eines gebieterischen und gleichzeitig abwesenden Mannes, etwas, das viele junge Menschen, älter wie jünger, gut kennen. Dass er 1975 mit dem Album „Born to run“ – „geboren, um davonzulaufen“ – erstmals riesigen Erfolg hatte, zeigt Springsteens Begabung, aus dem eigenen Leid Kunst zu machen: Er selbst fühlt sich „born to run“, hat seine Autobiografie wohl auch deshalb so genannt. Sehr offen schreibt er darüber, wie er lange Zeit Schwierigkeiten hatte, sich auf Beziehungen einzulassen, die nichts mit „wir spielen in einer Band“ zu tun hatten.
Diese Schwierigkeiten waren weitaus größer als etwa ein nicht eingehaltenes Versprechen, jemanden zeitnah zurückzurufen: „Den langen Schatten meines Vaters“, so nennt Springsteen die paranoiden Wahnvorstellungen, unter denen er als Erwachsener immer wieder litt. Hinzu kamen Panikattacken und Depressionen, sie „sprudeln wie Öl aus einem lecken Tanker“, schreibt er in seiner Autobiografie. Mit Mitte 30 ging er schließlich zu einem Psychiater, einen „Doc“, und stellte sich der Innenwelt: Seit seiner Kindheit hatte er Schutzmechanismen entwickelt, um mit Trauer und Schmerz zurechtzukommen, ja, um einfach nur den nächsten Tag zu schaffen.
Die Geburt des Sohnes - reines Glück
Es ist auch seine Ehe mit Patti Scialfa, Backgroundsängerin in der E Street Band, die Springsteen geholfen hat, aus all dem heil herauszukommen. Gemeinsam haben sie drei, heute erwachsene, Kinder. Über die Geburt seines ältesten schreibt Springsteen:
„Der reißende Fluss meiner Unentschlossenheit und das lebenslange Hintergrundrauschen meiner Unzufriedenheit sind verstummt. An ihre Stelle tritt schiere Verzückung. Der Arzt reicht mir eine Schere – ein Schnitt, und mein Junge ist auf sich allein gestellt. Ich lege ihn seiner Mutter auf den Bauch, und dieser Anblick meines Sohns und meiner Frau macht mich so glücklich wie nichts jemals zuvor. Gemeinsam haben Patti und ich dafür gesorgt, dass eins und eins drei ergibt. Das ist wahrer Rock’n’Roll.“
Vater-Sein als Star
Als Springsteen vor sieben Jahren, nach seinem Auftritt beim Superbowl, anfing, seine Autobiografie zu schreiben, wollte er damit auch etwas für seine drei Kinder hinterlassen, wie er auf einer Pressekonferenz auf der Buchmesse in Frankfurt erzählt. Er wollte es anderes machen als sein Vater, wollte anwesend und engagiert sein. Dass er das auch konnte, hat wieder mit seiner Frau zu tun:
„Ich gab mir alle Mühe, als Vater anwesend zu sein, aber in meiner Branche ist das nicht immer möglich. Patti sprang oft für mich ein, rückte mir aber auch den Kopf zurecht, wenn ich es schleifen ließ. ... Auch wenn ich sicher nie als ‚Vater des Jahres’ infrage käme, habe ich hart daran gearbeitet, mit den Menschen ins Reine zu kommen, die auf meine Nähe angewiesen waren und darauf, dass ich gut für sie sorgte und sie an die Hand nahm. Bei alldem sorgte Patti dafür, dass ich eine gute, belastbare Beziehung zu unseren Kindern aufbaute – möglichst ohne die Wirren, die ich selbst als Kind erlebt hatte.“
Ich frage ihn auf der Pressekonferenz, ob er denn nun Erlösung gefunden habe, denn von der Suche nach „redemption“ ist viel die Rede in Springsteens Songs. Nicht, indem er seine Geschichte von Anfang bis Ende erzählt habe, meint er. Die Erlösung habe er, wenn überhaupt, dann nur als Vater seiner Kinder gefunden.
Barbara Streidl
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