Trennung und Bedarfsgemeinschaft
Wer von ALG II lebt, gemeinhin Hartz IV genannt, hat keine Familie mehr, sondern eine Bedarfsgemeinschaft. Wohnt das Kind übers Wochenende bei seinem von Mama getrennt lebenden Papa, lebt es in einer "temporären Bedarfsgemeinschaft". Ein Grund für Bürokraten, den ohnehin schon Finanzschwachen noch mehr Geld zu kürzen.
Neun Euro weniger pro Papatag
Über die künftige staatliche Unterstützung dauerhafter und temporärer Bedarfsgemeinschaften ging es in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Eine Hartz-IV-Reform wird dort vorbereitet, durch die alles besser, weil weniger bürokratisch werden soll. Im Zuge der Reform geht es aber auch um das Sozialgeld, das Alleinerziehende erhalten. Das soll gekürzt werden, anteilig für die Tage, die das Kind beim "anderen" Elternteil ist. Gesprochen wird von neun Euro Abzug pro Tag bei einem sechs- bis 14-jährigen Kind - und da die Statistik lehrt, dass dieses "andere" Elternteil in neun von zehn Fällen der Vater ist, hieße das, mit jedem Papatag gibt’s neun Euro weniger für Mama. Und zwar auch dann, wenn der Vater gar nicht auf diese neun Euro angewiesen ist.
Dass eine Auflistung der monatlichen Vatertage zu einem immensen Anstieg der doch eigentlich zu verkleinernden bürokratischen Handgriffe führen und gleichzeitig beide Elternteile massiv unter Druck setzen würde, versteht sich. Außerdem schlüge väterliche Spontaneität ein Loch in Muttis Haushaltskasse: "Ich würde am Wochenende mit den Kindern gern in die Berge" bedeutet 18 bis 27 Euro weniger. Und was passiert, wenn im Gegenzug ein im Jobbörsen-Budget vermerkter Papa-Samstag ausfällt, weil der zum Beispiel wegen Krankheit kurzfristig absagen muss? Noch mehr Bürokratie.
Weniger Vater fürs Kind dank Hartz IV?
So sieht dieser Gesetzentwurf "eine weitere Schlechterstellung von Alleinerziehenden" vor, so Frank Jäger, Referent für Sozialrecht und Sozialpolitik beim Wuppertaler Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles e.V. Neben dieser Schlechterstellung würde die Neuregelung auch die eh schon empfindliche Elternpartnerschaft angehen. Alleinerziehende hätten einen Anreiz, den Umgang mit dem anderen Elternteil nicht zuzulassen, um materielle Einschränkungen zu verhindern, so Jäger - "das belastet die Familien und es ist ein bürokratischer Irrsinn". Das wird von Seiten der Sozialverbände bestätigt. In einer gemeinschaftlichen Stellungnahme des Zukunftsforums Familie, der AWO, dem Verband alleinerziehender Mütter und Väter u.a. heißt es: "Ein finanzieller Anreiz für die Reduzierung von Umgangstagen konterkariert die von der Familienpolitik angestrebte Förderung partnerschaftlicher Elternschaft."
Hier provoziert die Politik Streit und Krisen: Ein eh schon knappes Familienbudget gegen die immens notwendige Beziehungszeit von Kind und anderem Elternteil in die Arena zu schicken, das ist mehr als fahrlässig. Tatsächlich würde neben der finanziellen Bedrohung, die die anteilige Kürzung des Sozialgelds für Alleinerziehende mit sich bringen kann, die Kluft zwischen Vater und Mutter, die getrennt lebend ihr Kind betreuen, durch diese Reform noch einmal größer gemacht werden. Verbringt ein Kind die Pfingstferien beim umgangsberechtigten Papa, fährt vielleicht mit ihm zum Campen, verliert die alleinerziehende Mama dafür 14 mal neun Euro: 126 Euro. Sie muss das Kinderzimmer aber trotzdem weiter anmieten und auch in den Ferien Platz für die Schultasche von Tochter oder Sohn bieten. Das Kind ist ja nicht "weg", wenn es zum Papa geht. Dass somit der Vater einmal mehr zum ungeliebten Buhmann werden würde, der nun auch noch gesetzlich geregelt die Monatskasse verknappt, steht außer Frage.
Ein Zuhause bei Mama, eins bei Papa!
Eine bessere Lösung schlägt etwa Prof. Dr. Stefan Sell vor, Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik an der Hochschule Koblenz: Er sagte, der Gesetzgeber könne sich "ein wenig großzügig zeigen." Alleinerziehende sollen keine Kürzung erfahren, wenn ihr Kind beim anderen Elternteil ist. Und wenn dieses andere Elternteil auch bezugsberechtigt ist, muss eben ein Unterhaltsmehrbedarf des entsprechenden Satzes verhandelt werden.
Uwe Hilgendag, ehrenamtlicher Streitschlichter am Jobcenter in Berlin, berichtet von einem 193-Seiten-dicken Bescheid, den jemand bekommen hat, der in temporärer Bedarfsgemeinschaft mit drei Kindern wohnt, die sich wechselweise beim anderen Elternteil aufhalten. Dass eine solche Papierflut weder den Menschen, die diese Bescheide erhalten, noch denen, die diese Bescheide ausstellen, Freude bereitet, kann man sich vorstellen. Hilgendag bezeichnet die derzeitige Art und Weise, temporäre Bedarfsgemeinschaften per Bescheid offiziell und somit bezugsberechtigt zu machen, für die Jobcenter, aber in aller erster Hinsicht für die Betroffenen als inakzeptabel. Für ihn wäre es der gangbarste Weg, ein Kind eben zwei Bedarfsgemeinschaften zuzuordnen. Und damit wären wir auch wieder im echten Leben angekommen: Es gibt ein Zuhause bei Mama und eines bei Papa.
Barbara Streidl