24.09.2010
12. Woche
Spagat zwischen Familie und Freiheit
Ich habe viel Zeit für das was mir wichtig ist. Dabei ist es nicht leicht bei mir zu bleiben und gleichzeitig über die Entfernung hinweg einen guten Kontakt zu Johanna und Noa zu pflegen.
In den vergangenen Wochen habe ich mir viel Zeit für all das genommen, was zu Hause im Familienalltag oft zu kurz kommt. Ich wusste meine Zeit ohne Johanna und Noa zu nutzen und ich hatte immer jede Menge vor.
Jetzt bremst meine erste tropische Durchfallerkrankung meinen Tatendrang. Gestern habe ich den ganzen Tag lang im Bett gelegen und den aufgewühlten Prozessen in meinem Körper zugehört.
Auch die Außenwelt ist aufgewühlt. Der Monsunregen will in diesem Jahr kein Ende finden. Gigantische Wassermassen toben durch das Gangestal. Vor einigen Tagen stieg das Wasser so hoch, dass viele Straßen und Häuser unter Wasser standen.
Im Ashram saßen wir auf den Stufen des Haupteingangs. Staunend und erschrocken haben wir dem wilden Wasser zugeschaut, das Stufe um Stufe die Eingangstreppe überspülte. Zu viele Menschen haben in diesen Tagen alles verloren: als ihre Hütten von den Wassermassen fortgerissen wurden.
Ich bin bewegt und verunsichert durch die Schicksale der Menschen, die ich hier kennenlerne. Meine eigene Sicherheit und der Wohlstand in dem ich lebe erscheinen mir daneben unberechtigt und unangemessen.
Womit habe ich den Wohlstand verdient in dem ich lebe? Wie gehe ich mit den Privilegien um, die mich überallhin begleiten? Diese Fragen haben mich auf vielen Reisen beschäftigt. Antworten sind nicht leicht zu finden.
Allein die Praesenz dieser Fragen verändert meine Art zu reisen: Ich nehme mir Zeit an einem Ort zu bleiben und etwas tiefer zu schauen. Ich versuche zu verstehen. Ich lerne die Sprache der Menschen mit denen ich lebe. Ich suche das einfache Leben.
Ich habe gelernt, dass sich diese Fragen neu stellen, wenn ich mit meiner Familie in einem fernen Land lebe. In Indien ein einfaches Leben zu führen war mit Johanna und Noa schweiriger als für mich allein. Jetzt leben die beiden in einer ganz anderen Welt als ich.
Johanna hat für uns drei in Deutschland eine Wohnung gefunden. Natürlich beschäftigen sie dabei ganz andere Dinge als mich. Für mich ist es ein Spagat den Kontakt zu halten und zu pflegen und gleichzeitig bei mir zu bleiben und diese Zeit für mich zu genießen.
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