Rollenwechsel
Spätestens im letzten Drittel der Schwangerschaft lässt sich der Kräfte zehrende Prozess, den die Entstehung eines Kindes mit sich bringt, am Dauererschöpfungszustand der Frau ablesen.
Die althergebrachte Rollenverteilung gibt es nur noch selten, in den meisten Haushalten von Paaren hat sich eine Arbeitsteilung herausgebildet, in denen die Aufgaben klar verteilt sind - mal mehr, mal weniger gerecht.
Doch ab dem sechsten oder siebten Monat der Schwangerschaft kann das kaum noch funktionieren. "Es gibt zwar Frauen, die bis kurz vor der Geburt durchpowern", so Marcel Maus von der Schwangeren-Beratungsstellte "Esperanza" der Caritas in Bonn. Normal sei das aber nicht. Klar: Die Beweglichkeit ist eingeschränkt, schwer tragen verboten, bücken kompliziert, jeder Schritt doppelt und dreifach anstrengend. Nun muss der Mann verstärkt die Haushaltsführung übernehmen und nach Feierabend Kochlöffel, Besen und Bügeleisen schwingen.
Männer an den Herd
Patrick aus Hamburg hat diese Umstellung ziemlich gefordert. Der 31-Jährige arbeitet Vollzeit als Industriekaufmann, seine Lebensgefährtin Martina hat einen Halbtags-Job als Kassiererin. Der Großteil der häuslichen Arbeit wurde daher bisher von ihr geleistet. Auch als Martina schwanger wurde, änderte sich daran zunächst nichts, denn im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, litt sie nicht unter Übelkeit und Erschöpfung.
Doch ab der Hälfte der Schwangerschaft war Martina von ihrer Arbeit als Kassiererin dermaßen erschöpft, dass sie nicht die Kraft hatte, ihre bisherigen Aufgaben im Haushalt wahrzunehmen. "Ich musste nach und nach mehr mit anpacken. Irgendwann hatte ich das Gefühl, alles erledigen zu müssen, obwohl ich von halb zehn bis halb sieben im Büro war", sagt Patrick. Patrick wurde durch die Doppelbelastung Beruf/Haushalt immer erschöpfter und gereizter. "Man weiß ja nicht, wie sie sich fühlt. Man sieht nur, dass sie auf der Couch sitzt und Tee trinkt". Kam es dann zum Streit, hatte Patrick sofort ein schlechtes Gewissen, obwohl er sich oft im Recht fühlte.
Doppelbelastung für werdende Väter
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Der Bauch: eine gewaltige Kugel. Die dazugehörige Frau: Dauererschöpft. Die Wohnung: vernachlässigt. Im letzten Drittel der Schwangerschaft kann die Frau körperlich nicht mehr so viel machen. Durch die Doppelbelastung in Beruf und Haushalt kommt viel Mehrarbeit auf den werdenden Vater zu.
Anerkennung für Hausarbeit
Positiv umdenken
Vieles müssen Männer auch erst einmal lernen. Zum Beispiel die verschiedenen Programme der Waschmaschine oder das Wechseln eines Staubsaugerbeutels. Nicht dass Männer das noch nie gemacht hätten. Oft liegt es aber Jahre zurück, die übliche Aufgabenverteilung entband sie von diesen Pflichten. Marcel Maus rät, die zusätzlichen Pflichten "positiv umzudenken", es als eine Hilfestellung zum optimalen Schwangerschaftsverlauf zu betrachten.
Wichtig dabei sei aber, dass beide Partner nicht nur auf den anderen schauen, sondern zuerst auf sich selbst. "Man sollte sich überlegen, was man von sich selbst erwartet", rät er. "Dann sollte man feststellen, was der andere von einem erwartet. Und schließlich sich gemeinsam hinsetzen und schauen, was machbar ist". Wenn beide ihre Position klar gemacht haben, findet sich eine Lösung. Sei es, dass eine Haushaltshilfe einmal pro Woche vorbeikommt oder dass man bei dem wachsenden Berg schmutzigen Geschirrs auch mal ein Auge zudrückt.
Anerkennung für Hausarbeit
Es ist natürlich nicht zu viel verlangt, wenn der Mann im Haushalt mit anpackt. Im Gegenzug sollte aber auch die Partnerin diese Bemühungen anerkennen. Dass Frauen in dieser sehr erschöpfenden Phase der Schwangerschaft Entlastung brauchen, ist selbstverständlich und jeder Mann steht in Minutenschnelle Staubsauger bei Fuß, wenn es notwendig ist. Für Anerkennung wären die meisten dennoch dankbar. "Es wird als selbstverständlich wahrgenommen, wenn ich bis tief in den Abend noch den Haushaltskram erledigt habe", seufzt Patrick. Wenn er Martina darauf angesprochen hat, reagierte sie gereizt - sie hätte das früher auch ohne Dank gemacht.
Der Fehler liegt nicht nur bei Patrick, der für scheinbar Selbstverständliches Dankbarkeit erwartet, sagt Marcel Maus. "Es gibt auch Frauen, die das per se erwarten. Die lesen das überall in Ratgebern, lehnen sich zurück und sagen ‚Jetzt mach du mal’." Oft hadern schwangere Frauen selbst mit dem Umstand, zur Untätigkeit verdammt zu sein. "Sie sieht dann den Mann, der kann immer noch rumspringen, abends ein Bier trinken, in der Kneipe rauchen". Die Ursachen liegen jedoch nicht in der Schmutzwäsche oder in den schmerzenden Füßen, sondern an mangelnder Kommunikation. Irgendwann hat Martina das eingesehen, nach einem heftigen Krach, an dem Patricks Gefühle sich Bahn brachen und Tränen kullerten.
Absprachen unumgänglich
Männer können ebenso wenig wie Frauen Gedanken lesen, daher sollte die Partnerin mit ihren Beschwerden nicht hinter den Berg halten. Meist wird ihr Partner dann von sich aus fordern, dass sie es sich mit einer Tasse Tee und einem Buch auf dem Sofa gemütlich machen solle. Er könnte doch derweil kochen und ein bisschen aufräumen. Und die Partnerin sollte auch nicht erwarten, dass er alle neuen Aufgaben sofort perfekt meistern kann. Hausfrau oder Hausmann sein ist eine zwar fälschlicherweise oft gering geschätzte Tätigkeit, erfordert aber Übersicht, Organisation, Planung. Wer einfordert, dass man diese Aufgaben von jetzt auf gleich auf die Reihe bekommt, entwertet hierdurch diese Tätigkeit.
Im Gegenzug sollte auch die Frau die Leistung des künftigen Vaters anerkennen - in Beruf und Haushalt. Immerhin ist das sein Beitrag für den reibungslosen Ablauf der Schwangerschaft. Die meisten Männer würden, wenn sie könnten, der Frau auch den Babybauch oder die schmerzenden Füße abnehmen. Können sie nicht, aber sie können nach acht Stunden Arbeit noch die Wäsche machen, den Braten in den Ofen schieben und das Wohnzimmer staubsaugen.
Karsten Frei