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Problem freie Schulwahl


Väter - Problem freie SchulwahlBild: © nadezhda1906-fotolia.com

Bildungsorientierte Väter und Mütter meiden Schulen in Brennpunktvierteln, ziehen deshalb sogar in andere Stadtteile. Die freie Schulwahl, ergab eine Studie, wird zum Problem: sie verschärft die soziale Polarisierung.

Zuwanderung und freie Schulwahl


Wenn Väter und Mütter mit ihren Kindern deren künftige Grundschule besichtigen, spielt ein ganzes Bündel an Motiven eine Rolle. Sehen die Klassenräume einladend aus? Sind die Lehrer sympathisch? Gibt es gutes Essen und eine qualifizierte Übermittagsbetreuung? Existieren Arbeitsgemeinschaften mit zusätzlichen Lernangeboten? Ein weiteres wichtiges Kriterium aber wird selten offen angesprochen: Besuchen viele Kinder aus Zuwandererfamilien die Schule?

Jahrzehntelang galt zu Beginn der Bildungslaufbahn die Devise "Kurze Beine, kurze Wege”: Eltern schickten ihre Kinder in die nächstgelegene Grundschule. Freie Entscheidungen gab es ohnehin nicht, das sogenannte "Sprengelprinzip” legte die zuständige Schule automatisch fest. In den meisten Bundesländern ist das bis heute so. Nur Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben bisher die vollkommen freie Schulwahl eingeführt. Fast überall wird jedoch darüber diskutiert, diesem Beispiel zu folgen.

Vor allem in Großstädten führte die starre Regelung in den letzten Jahren zu problematischen Wanderungsbewegungen. Bürgerliche Familien verließen Brennpunktviertel mit hohem Ausländeranteil wie Berlin-Neukölln, zahlten bereitwillig deutlich höhere Mieten, damit ihre Kinder auf eine Schule mit gutem Ruf gehen konnten. Auch bildungsorientierte Migranteneltern wechselten aus diesem Grund das Wohngebiet. Die Folge war eine noch stärkere soziale Entmischung.

Ethnische Trennung


"Gleich und gleich gesellt sich gern” lautet der Titel einer Studie, die die Bertelsmann-Stiftung Anfang 2016 vorgelegt hat. Das Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung an der Universität Bochum untersuchte vier Jahre lang exemplarisch das Schulwahlverhalten der Eltern von 4000 Erstklässlern in Mülheim an der Ruhr. 2008 hatte die damalige schwarzgelbe Landesregierung unter Jürgen Rüttgers die freie Wahl erlaubt - mit dem Ziel, die Schulen durch verstärkte Konkurrenz zu mehr Qualität zu animieren.

Vor der Neuregelung besuchten etwa zehn Prozent der Mülheimer Kinder nicht die eigentlich für sie zuständige Bildungseinrichtung in der Nachbarschaft. Sonderregeln galten schon immer etwa für konfessionell gebundene Träger oder die anthroposophischen Waldorfschulen. Nach der vollständigen Freigabe, so ergaben nun die Zahlen der Bertelsmann-Stiftung, ist der Anteil der weit entfernt von ihrem Wohngebiet unterrichteten Schüler auf 25 Prozent gewachsen - Tendenz steigend.

Die Forscher sehen diese Entwicklung kritisch. Besonders Eltern "mit mittlerer oder hoher Bildung meiden sozial benachteiligte Grundschulen”, sagt Projektmanagerin Regina von Görtz. Die Schulwahl sei stets vom Herkunftsmilieu der Eltern abhängig gewesen, das ergebe sich schon aus dem unterschiedlichen Charakter einzelner Wohnquartiere. Doch durch die neue Wahlfreiheit, resümiert von Görtz, verstärke sich die soziale und ethnische Trennung. Väter und Mütter nehmen die langen Wege trotz der kurzen Beine ihrer Kinder in Kauf. Und wenn die Distanzen zu groß werden, fahren sie einfach jeden Morgen mit dem Familien-Van vor.

Lösung Sozialindex?


Eltern mit niedrigem Bildungsniveau, so eine Erkenntnis der Untersuchung, wählen meist eine Gemeinschaftsschule in der unmittelbaren Wohnumgebung. Am häufigsten nutzen Familien mit mittlerem Sozialstatus die freie Wahl. Die besonders Privilegierten entscheiden sich eher selten für eine entfernt liegende Schule. Das gutbürgerliche Milieu, so erklärt dies die Bertelsmann-Expertise, leben ohnehin meist in Wohngegenden mit einem geringen Anteil von Einkommensschwachen und Migranten. Die passende Schule liegt dann oft gleich nebenan.

Die unternehmensnahe Stiftung des Medienriesen möchte keineswegs die Wahlfreiheit im Bildungssystem abschaffen. Sie fordert lediglich mehr "Chancengerechtigkeit”. Als Strategie gegen die soziale Polarisierung schlägt Studienautor Thomas Groos einen "Sozialindex” vor. Nur wenn die Benachteiligung einer Schule durch Daten belegt werden könne, sei eine spezielle Förderung auch politisch durchsetzbar. Mehr Lehrer, eine bessere Ausstattung und zusätzliche Ressourcen wie Sozialarbeiter oder Psychologen, hofft Groos, könnten diese Schulen so aufwerten, "dass ihre Qualität auch bildungsaffine Eltern überzeugt”.

Während der Rassenunruhen in den USA in den 1960er Jahren experimentierten amerikanische Politiker mit drastischeren Methoden, um der ethnischen Segregation zu begegnen. Kinder aus armen schwarzen Familien wurden in reiche weiße Wohngebiete gefahren, um dort die Schule zu besuchen. Dieses "Busing”, in den Vereinigten Staaten damals heftig umstritten, haben Politiker für Deutschland bislang nicht vorgeschlagen. Sie hoffen offenbar, dass das soziale Gefälle nicht noch größer wird und sich weniger provokante Lösungen finden.

Thomas Gesterkamp

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