Der Kult ums Kind
Der Vater als bester Freund? "Früher stand das Elternpaar im Mittelpunkt der Familie" sagt Martina Klett-Davis vom britischen Family & Parenting Institute in London, "und die Kinder sollte man sehen, aber nicht hören. Jetzt liegt das Hauptaugenmerk auf den Kindern. Es gibt eine Studie, laut der früher das letzte Schweinekotelett beim für den Mann als Oberhaupt der Familie reserviert war. Jetzt würde dieses Schweinekotelett an die Kinder gehen. Der Vater wurde früher als Brotverdiener betrachtet und bekam eine Sonderbehandlung. Jetzt sind die Kinder der Weg zur emotionalen Erfüllung in der Familie."
Ähnlich wie die Emanzipation der Frauen ist auch die Emanzipation der Väter im dritten Jahrtausend bisweilen ein schwankendes Brett: "Im Allgemeinen macht es mir großen Spaß, ein Vater zu sein, aber ich habe auch eine egoistische Seite, die sich nach Unverantwortlichkeit sehnt", gibt Drehbuchautor Mark Tilton aus London zu, der eine 17jährige Tochter hat: "Das ist etwas schade, aber ich glaube viele Männer haben diese Seite. Meine Tochter ist jetzt fast erwachsen. Wie sich herausgestellt hat, bin ich ein guter Vater, aber es war nicht immer leicht."
Frank Heinz Diebel
Väter sind "hands on"
Während die Generation meines Vaters noch meist mit Abwesenheit glänzte, wenn es um die Kindererziehung ging, hat sich das Blatt inzwischen um 180 Grad gewendet. Vater-Sein bedeutet heute weit mehr als Würstchen grillen, Fußball spielen und Löcher in die Wand bohren. Väter im Inselkönigreich sind "hands on", wie es im Englischen heißt. Sie legen Hand an - und damit ist weit mehr als das Heimwerkertum gemeint, einst die Königsdisziplin eines jeden stolzen Vaters.
Heutzutage geht es schon vor der Entbindung los. "Antenatal classes - Geburtsvorbereitungskurse" heißt das Zauberwort und auch die sind heute nicht mehr Sache der Frau allein: Die Kurse werden meist von Paaren besucht. Dort lernen sie in trauter Eintracht die wichtigsten Handgriffe im Umgang mit dem Neugeborenen. Und dann die Geburt selbst: Kein britischer Vater aus meiner Generation, der etwas auf sich hält, würde sich die Blöße geben und nicht bei der Geburt seines Nachwuchses anwesend sein - hautnah mittendrin, live dabei. Vor 40 Jahren noch lieferten britische Ehemänner ihre hochschwangeren Frauen im Krankenhaus ab und tranken sich anschließend eine Woche lang im Pub Mut an. Zuhause stapelten sich derweil Geschirr und dreckige Wäsche bis zur Decke, weil Dad natürlich die Hausarbeit nicht auch noch machen konnte.
Während mein englischer Schwiegervater Windeln nur von der Wäscheleine kannte ist es heute eine "heilige" Pflicht für britische Dads zu wickeln, zu baden und zu füttern was das Zeug hält. Vom Plymouth im Süden bis zu den schottischen Highlands im hohen Norden sieht man heutzutage Väter mit Babytragen und trendigen Offroad-Kinderwagen.
Der Kult ums Kind
Liebe und Humor
"Ich liebe es, Vater zu sein", gesteht der 44jährige Londoner James Brown, Gründer des britischen Männermagazins loaded und Chefredakteur von sabotagetimes.com. "Es ist die beste Sache der Welt. Dank meines Sohnes Marlies kann ich meine Kindheit noch einmal durchleben, während ich zuschaue wie er seine genießt." Jon Williams, Schreiner aus dem walisischen Aberystwyth sieht das ähnlich: "Vater sein ist super, denn zumindest eine zeitlang habe ich jemanden um mich, der denkt, dass ich die Verkörperung von James Bond, Steve Gerrard und Ray Mears gleichzeitig bin."
Wenn trotz aller Begeisterung einmal Not am Mann sein sollte, gibt es im Inselkönigreich sogenannte Dad-Clubs, die Vätern mit Rat und Tat zur Seite stehen. Auch in den virtuellen Weiten tun sich die Papas zusammen: Auf dadclub.co.uk gibt es wohlmeinende Tipps garniert mit einem deftigen Schuss Humor: "…wenn du ein Vater bist, der unter Schlaf- und Sexmangel leidet und dessen geistige Gesundheit flöten geht, dann könnte diese Site genau das richtige für dich sein." Natürlich kann es nicht ohne einen ironischen Seitenhieb auf die Mamis gehen, denn die neuen Super-Väter wollen alles besser machen: "Wenn du ein Elternteil bist und nach vernünftigen Ratschlägen, nützlichen Hinweisen und Mitgefühl suchst - suche nicht hier! Versuche es mit mumsnet.com. Die können das gut."
Die Wurzeln des neuen Vaterkults liegen sicher auch in der Emanzipationsbewegung der Frauen in den 60er Jahren. In dem Maße in dem Frauen sich ihren Platz in der Arbeitswelt eroberten, waren Väter gefordert sich stärker mit dem Nachwuchs zu beschäftigen und entdeckten, dass es nicht nur Spaß macht den Kleinen die Welt zu erklären, sondern sie auch gemeinsam mit ihnen zu erleben.
Brotverdiener und Kinderpfleger
Kalt, unnahbar, streng - das machte früher den guten Vater aus. Einst Brotverdiener, Respektsperson und Mittelpunkt der Familie in einem. Von zahlreichen Kinder-Generationen wurde er gefürchtet. Jetztist auch in Großbritannien der moderne Vater von seinem patriarchalischen Thron gestiegen. Plötzlich redet man auf den britischen Inseln von "touchy-feely" und "Super-Dads".
Wohin das Auge schaut werden die einstigen Domänen der Muttis von Dads erobert: früh morgens am Eingang zur Schule, auf dem Kinderspielplatz, im Café, in Schwangerschafts-Kursen. Väter wechseln Windeln, schieben Kinderwagen, stehen nachts zum Füttern auf und studieren Bücher über den richtigen Umgang mit dem Nachwuchs. Am Stammtisch und im Fußballstadion werden kindgerechte Freizeitpläne diskutiert.
Jede freie Minute, die britische Papas nicht mit den Kleinen verbringen, plagt sie die Sorge schlechte Väter zu sein. "Der Beweis dafür, dass Väter mehr involviert sein wollen ist unwiderlegbar", erklärt Adrienne Burgess vom Fatherhood Institute im walisischen Abergavenny, "Väter verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern und übernehmen Haushaltspflichten - 800 Prozent mehr als 1975. Der Begriff Männlichkeit wurde um die Dimension Pflege erweitert - wenn sie heute Väter fragen, was ihnen wichtig ist so wollen sie immer noch Brotverdiener sein, aber sich um die Kinder zu kümmern steht auch sehr hoch im Kurs."
Die "Super-Dads" kommen!
Bild: Melo@photocase.de
Gibt es "neue Väter", die sich gleichberechtigt um ihre Kinder kümmern wollen, nur in Deutschland? Nein, gerade in England, im Land der Bowler-Hüte und der steifen Oberlippe, engagieren sich Väter viel stärker, als das Klischee des Gentleman oder des Power-Proletariers vermuten lässt. Und wie sie es machen, das klingt gar nicht so unvertraut.